Franz Erhard Walther: Shifting Perspectives: Die Aktivierung der Skulptur durch ihre Benutzer

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10. März 2020
Text: Roberta De Righi

Franz Erhard Walther: Shifting Perspectives.
Haus der Kunst, Prinzregentenstr. 7, München.
Montag bis Sonntag 10.00 bis 20.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 22.00 Uhr.
Bis 2. August 2020.

www.hausderkunst.de

Mit „Zwei weinrote Samtkissen“ fing alles an: Mit den Objekten der Werkgruppe „Handstücke“ schuf Franz Erhard Walther 1962/63 quasi Miniatur-Tafelbilder zum Anfassen. Die Arbeit wurde durch die Berührung des Betrachters „aktiviert“. Noch weiter geht das im „1. Werksatz“ (1963-69) aus 58 textilen Objekten: Diese implizieren verschiedene Aktionen, die man als Gummitwist und Polonaise beschreiben könnte. Das Münchner Haus der Kunst widmet ihm jetzt unter dem Titel „Shifting Perspectives“ eine üppige Retrospektive, die in rund 250 Werken sechs Jahrzehnte künstlerischen Schaffens bezeugt. Die Ausstellung lässt durch ihren rigiden architektonischen Rahmen die weichen, formbaren Exponate mitunter fast erstarren. Eigentlich lädt Walther mit seiner Kunst zur Teilnahme ein, fordert zur Handlung auf. „Aktiviert“ werden darf heute  – abgesehen vom „1. Werksatz“ mit und für das Publikum –  allerdings nur noch wenig. Doch es reicht dem Künstler auch, wenn seine Werke zur „Imagination der Handlung“ anregen. Die klare Linie in diesem so eigenständigen Oeuvre wird dennoch deutlich.

Der 1939 geborene Franz Erhard Walther hatte sich die Kunst des Zeichnens früh und mühelos angeeignet; bald interessierte ihn, fasziniert von Lucio Fontana und dem Informel, das Experimentelle. Sein „Versuch eine Skulptur zu sein, Speier“ fand 1958 statt, als er noch an der Werkkunstschule Offenbach studierte. Das Foto zeigt ein 19-jähriges Bürschchen mit Wuschelhaar und erstaunlichem Selbstvertrauen, das vor einer Schüssel mit Mehl-Wasser-Gemisch saß und lustvoll in den Raum spuckte. Das Spielerische ist seither nicht aus Walthers Arbeit verschwunden. Da war es eine Frage der Zeit, dass er den akademischen Rahmen sprengte. 1959 ging er an die Frankfurter Städel-Schule, doch nicht zuletzt sorgten die „Schraffuren“ dafür, so erzählt Walther, dass er dort 1961 flog. Das Studium setzte er später in Düsseldorf fort, ehe er nach New York ging und 1971 in Hamburg mit 32 Jahren selbst Professor wurde. „Shifting Perspectives“ breitet alles aus: von den frühen „Wortbildern“ über die „Wandformationen“ zu den späten „Handlungsbahnen“, und man kann viele Einzelwerke wie Statements lesen. Schon „Gelb und Blau“, Farbpigmente in zwei Flaschen (1963), wirkt wie Schlusspunkt und Neuanfang zugleich. Sein Beitrag zur Kunst ist die unermüdliche Reflexion über den Kunstbegriff und die Überwindung der Genregrenzen. Bis wann kann ein Wand-Objekt als Bild gelten und ab wann wird es zur Plastik? Zugleich wird auch die Grenze zwischen Werk und Betrachter aufgehoben.

Früh entschied er sich aus konzeptuellen Gründen für Stoff als Material. Dass das Textile lange als Inbegriff von „Frauenkunst“ galt, kommentiert er ironisch. Doch ohne seine Ehefrau Johanna, die noch heute seine „Nähungen“ fertigt, hätte Walther jene kaum geschafft – was er selbst gerne beteuert. Bereits „Vier Körperformen“ (1963) stellen die direkte Verbindung zwischen Leib und Objekt her: amorph geformte Kissen, deren Rundungen den Körper als Negativ abbilden. Das setzt sich in den „Schreitsockeln“ fort, da wird die liegende Struktur zum Sockel und der Mensch, der sich darauf bewegt, zur Skulptur. Walthers Kunst ist letztlich die der Rückführung der Kunst zu ihrem Ursprung – dem menschlichen Körper. Die „Raumelemente“ (1973) haben ebenfalls menschliches Maß und fordern den Besucher auf, einen Standpunkt einzunehmen. Dabei gibt es immer eine Innen- und eine Außenperspektive: Der Akteur erlebt selbst physisch den transitorischen Moment, der passive Betrachter visuell. In begleitenden Zeichnungen zeigt der allwissende Erfinder dieses Spiels dazu akribisch vielfältige Handlungsoptionen auf.

„Sternenstaub“, seine autobiographische Vita in 526 Blättern, offenbart nebenbei, dass Franz Erhard Walther in der Tat ein routinierter Zeichner mit akkurater Handschrift ist. Darin hält er vor allem Begegnungen und Episoden fest, in denen Kollegen die visionäre Tragweite seiner Kunst bezeugten. Diese Selbstbehauptung in Wort und Bild entstanden 2007 bis 2009, hätte nach dem Goldenen Löwen der Biennale 2017 aber wohl ein wenig gelassener geklungen.