Peter Wächtler, Ad Astra: Posieren in abgelegten Sprachkorsetts

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7. Oktober 2019
Text: Dietrich Roeschmann

Peter Wächtler: Ad Astra.
Kunsthalle Zürich, Limmatstr. 270, Zürich.
Dienstag, Mittwoch und Freitag 11.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 11.00 bis 20.00 Uhr, Samstag und Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 17. November 2019.
Zur Ausstellung ist eine Publikation erschienen: Peter Wächtler,Jolly Rodgers, Sternberg Press, Berlin 2019, 144 S., 15 Euro | ca. 18 Franken.

www.kunsthallezurich.ch

 

Peter Wächtler (*1977) hat ein neues Buch veröffentlicht. Es ist ein wirklich schönes Buch geworden – hübsches Cover, angenehmes Papier, handliches Format. Darin reihen sich viele kleine literarische Vignetten aus den letzten Jahren aneinander, die zusammen genommen eine große Geschichte ergeben könnten – was sie allerdings verweigern. Auch Wächtlers Zeichnungen, die so tun, als würden sie den Text illustrieren, machen lieber ihr eigenes Ding. Selbstvergessen, jede für sich, kurz: Hier passt nichts zum anderen, das allerdings sehr konsequent. Wächtlers Erzählband heißt ja nicht zufällig „Jolly Rogers” wie die Totenkopfflaggen der Piraten. Seine Texte, könnte man sagen, entern Konventionen der Sinnstiftung und der Bedeutungsproduktion. Sie streifen sich diese Routinen über wie Kostüme und führen sich darin auf wie kleine Poser. Alle wissen das, alle sehen das, und dennoch gibt es da immer diesen Rest an Authentizitätsvermutung, diese stille Hoffnung, das alles habe am Ende doch einen wahren Kern. Sie wird nicht enttäuscht. Wächtler stellt in seinen Texten ein Sprechen nach, das sich auf derart originelle, aberwitzige Weise in Stanzen und Phrasen verliert, dass man kaum anders kann, als darin einen Aufstand gegen die Leere zu sehen, die  dieses Sprechen im wirklichen Leben produziert.  

In der Kunsthalle Zürich stehen Wächtlers druckfrisch eingeschweißte Bände jetzt auf dem Tisch an der Rezeption, und fast sieht es so aus, als lenke der zottelige Reiter auf dem Cover, der den Besuchern aus dunkler Kapuze einen dräuenden Blick über die Schulter zuwirft, sein Pferd absichtlich in den dunklen Raum dahinter, damit wir ihm folgen. An zwei Mobiles schweben dort acht riesige Füllfederhalter aus Pappmaché und Gips von der Decke. Langsam ziehen sie ihre Bahnen durch den abgedunkelten Raum. Es wäre schön, wenn man lesen könnte, was sie da in die Luft kritzeln, aber vermutlich sind es nur Kringel und Kreise, wie imaginäre Luftblasen beim Träumen.

An der Längswand flimmert dazu ein Video. Die Kamera ruht auf dem Gesicht eines Vampirs, der gerade versucht, Schlaf zu finden auf dem harten Grund einer marmornen Grabplatte. Der Kiefer mahlt, die Zunge schmatzt, der Kopf wälzt sich von rechts nach links. Viel Zeit bleibt ihm nicht, der Morgen graut bereits. „Untitled (Vampire)” ist die jüngste Videoarbeit von Peter Wächtler. In ihrer Balance von Komik und Tragik, inszeniert im nostalgischem Setting einer Gothic Novel, ist sie typisch für sein filmisches Werk. Auch hier erzählt Wächtler eine Geschichte dazu, die mit den Bildern so radikal nichts zu tun zu haben scheint, dass sich der Verdacht einstellt, es mit der mit Blindtext untertitelten Dummy-Kopie eines leider gerade nicht verfügbaren Originals zu tun zu haben „Ich habe mir dann eine Leopardendecke umgelegt”, steht dort in Stummfilm-Manier eingeblendet zwischen Szenen aus der Gruft. „Ich war einfach in der Stimmung und OK, habe ich gesagt, der gibt mir jetzt Kraft, der Leopard. Das ging dann aber überhaupt nicht. Im Gegenteil, ich habe mich plötzlich total angreifbar gefühlt. Verletzlich.” Wie der Patient eines Arztes, der abends seiner Familie von seinem Fall erzähle und damit für derart schallendes Gelächter bei allen sorge, dass sich die Kinder noch Jahre später an diesen Abend erinnern würden. Es ist eine lustige, anrührende Geschichte voller grotesker Vergleiche, die Wächtler dem Vampir hier zur Seite stellt, zusammenmontiert aus banalem Alltagssprech und seltsam gestelzten Redewendungen. Der Sog, den der disparate Sound der Erzählung und ihr lakonisches Desinteresse an den flankierenden Bilder entwickeln, erzeugt geradezu modellhaft ein Gefühl von Entfremdung, das allerdings weniger in einem selbst keimt als wie ein entfernter Bekannter in den Saal stolpert und sich neben einen auf die Bank setzt, um Wächtlers Film mit anzusehen. Der mäandert unterdessen weiter ohne Entwicklung und ohne Ziel, bevor er sich am Ende in wolkenverhangenen Abstraktionen auflöst. „Wie dem auch sei”, leuchtet der letzte Untertitel im Dunkel auf, „ich habe die Decke nicht mehr.”