United by Aids: Keine Angst vor der Liebe

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27. September 2019
Text: Alice Galizia

United by Aids.
Migros Museum für Gegenwartskunst, Limmatstr. 270, Zürich.
Dienstag bis Freitag 11.00 bis 18.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 10. November 2019.
Dieser Text erschien zuerst in der WOZ vom 5. September 2019.

www.migrosmuseum.ch

Cookie auf der Toilette, Cookie im Bett mit Sharon, Cookie lachend: Vierzehn solche Aufnahmen mit Cookie Mueller hängen im Zürcher Migros Museum. Es sind Fotografien von Nan Goldin, die ihre beste Freundin immer wieder porträtierte, auf Hunderten von Fotos, bis zu Muellers Tod 1989. „The Cookie Mueller Portfolio” heisst die Fotoserie, die Goldin daraus zusammengestellt hat. Mueller und ihr Mann Vittorio Scarpati starben beide an den Folgen von Aids, sie nur zwei Monate nach ihm. Das Portfolio zeigt die beiden bei ihrer Hochzeit, mit bestimmtem Blick – gleich danach erst Mueller an Scarpatis Sarg, dann Mueller in ihrem eigenen. Die letzte Fotografie: das gemeinsame Wohnzimmer, an Weihnachten desselben Jahres; ein leerer Raum.

Die Fotografin Nan Goldin ist eine der bekanntesten KünstlerInnen in der Ausstellung „United by Aids”. Direkt gegenüber von ihrer Arbeit werden Zeichnungen von Vittorio Scarpati gezeigt: In bunten Farben zeichnet er etwa sich und Cookie Mueller im Spitalbett („The I Wanna Get out Club”, 1989). Die Arbeiten in diesem ersten Abschnitt, der sich auf die Aidskrise im New York ab Ende der Achtziger konzentriert, spiegeln die Verzweiflung der Zeit. Der Ausbruch von HIV traf die Kunstszene, eng verbunden mit der queeren Szene, besonders stark – und liess die noch nicht lange erlangte sexuelle Leichtigkeit verpuffen. Verunsicherung machte sich breit: Wer ist krank? Und wie steckt man sich überhaupt an?

„Kissing doesn’t kill” (Küssen tötet nicht) hiess deshalb eine Kampagne von 1990, zu sehen im nächsten Raum zum Thema „Aids und Aktivismus”. Gegen die gesellschaftliche Ächtung und die unterlassene Hilfeleistung der Behörden und Regierungen, die in vielen Ländern viel zu lange untätig blieben, entstand eine Vielzahl an Werken an der Schnittstelle von Kunst und Politik. Spannend hier ist der Hinweis auf die vielen Aktivistinnen, zum Beispiel bei Act Up, einer der grössten Organisationen, die sich dem Kampf gegen HIV und Aids verschrieben hatten. Dass HIV als Schwulenkrankheit wahrgenommen wurde, bedeutete einerseits ein Stigma für die homosexuelle Gemeinschaft. Andererseits aber machte es andere Betroffene, insbesondere Frauen, unsichtbar, in der Krankheit wie im Kampf dagegen.

Die Präsenz von Körpern in der Gesellschaft ist ebenfalls ein grosses Thema dieser Ausstellung: Wer erzeugt Aufmerksamkeit, und wer macht Angst? Wer darf da sein, wer wird versteckt, wer verschwindet? Die Choreografin Anna Halprin arbeitete in den Achtzigern mit Community Dance, zusammen mit HIV-positiven Menschen – das gemeinsame Tanzen und Einanderberühren als Mittel der Enttabuisierung. Zum Verschwinden von Körpern kommt mit den Jahren das Vergessen: Die Krankheit verschwindet aus dem öffentlichen Bewusstsein. Durch immer bessere Therapien ist es zwar möglich geworden, mit der Krankheit zu leben – doch es stellt sich die Frage, wer sich die Therapien leisten kann: In den USA ist HIV heute vor allem in den ärmeren schwarzen Communitys im Süden verbreitet; zwei Drittel aller weltweit mit HIV Infizierten leben in Subsahara-Afrika. Das wird in der Ausstellung zwar thematisiert, die afrikanische Perspektive fehlt aber weitgehend. Dafür ist die afroamerikanische Community stark vertreten, etwa mit dem schönen Kurzfilm „DiAna’s Hair Ego Remix” (2017) von Ellen Spiro und Cheryl Dunye. Erstere besuchte 1989 die Coiffeuse DiAna in South Carolina, die in ihrem Salon Aufklärungsarbeit über HIV und Aids anbot. Fast drei Jahrzehnte später steuert Dunye für ihren „Remix” von Spiros damaligem Film ein Porträt von DiAna bei, die noch immer ihren Salon betreibt. Der Film ist ein Beispiel für einen auch humorvollen Umgang mit Aids, und er zeigt seine ProtagonistInnen als starke Individuen. Überhaupt zieht sich diese Haltung durch die meisten der gezeigten Werke: der Wille, sich nicht durch die Krankheit definieren zu lassen.

Einen pragmatischen Blick wirft schliesslich Wolfgang Tillmans auf das Leben mit HIV. Ein Foto von 2014 zeigt eine Kiste, gefüllt mit Pillendosen: „17 Years’ Supply”, Medikamente für siebzehn Jahre. Neben dem Schrecken ist auch das Realität: Selbst eine unheilbare Krankheit wird irgendwann zum Alltag.