Jannis Marwitz: Ausschweifende Feste im Bildgedächtnis der digitalen Gegenwart

Porträt
28. Mai 2019
Text: Dietrich Roeschmann

Jannis Marwitz bei Lucas Hirsch, Düseldorf, Liste – Art Fair Basel, Warteck PP, Burgweg 15, Basel.
lucashirsch.com

Es ist nicht ganz klar, was genau die Figuren auf den jüngsten Bildern von Jannis Marwitz (*1985) eigentlich feiern: Orgien, Bacchanalien, Frühlingsfes­te? Offenkundig scheint nur, dass es ausschweifende Feste sind, die tief in der Kunstgeschichte von der Antike bis zum Barock wurzeln – und im Airbrush-Rip-Off-tauglichen Surrealismus des späten Dalí. Schwelgende Gottheiten mit grün und blau leuchtenden Körpern schälen sich hier zwischen Fischen, Muscheln, Krebsen und Blumenbouquets aus üppig wallenden Stoffbahnen. Flankiert von Putten und sich aufbäumenden Pferden bevölkern sie fantastische Landschaften unter dräuenden Himmeln. Ihre Nacktheit ist so künstlich und zugleich so selbstverständlich alltäglich wie die der Na’vi in James Camerons Blockbuster „Avatar”, ihre Schönheit ist von der schimmernden Leblosigkeit eines Marmorreliefs, ihre Geschlechteridentitäten sind fließend.

Anders als die mythologischen Vorbilder, die hier entfernt anklingen, scheinen Marwitz’ Figuren jedoch frei von jeder Einbindung in eine Erzählung. Fast könnte man meinen, der gebürtige Nürnberger, der an der HFBK Hamburg und an der Städelschule in Frankfurt studierte und derzeit in Brüssel lebt und arbeitet, habe es sich zur Aufgabe gemacht, eine von historischer Erinnerung völlig entleerte und allein auf das Prinzip der Ähnlichkeit von Geste, Ausdruck und Überhöhung reduzierte Version von Aby Warburgs Bildatlas Mnemosyne auf die Leinwand zu bringen. Darin liegt eine überraschende Aktualität. Denn was im ersten Moment wie eine bizarre Re-Release-Party der Postmoderne und ihrer Fake-Klassizismen wirkt, entpuppt sich in der Zusammenschau als eine kluge, witzige, in Öl und Tempera ausgearbeitete Metapher auf das Bildgedächtnis in der digitalen Gegenwart indexbasierter Suchmaschinen.