Kubus. Sparda Kunstpreis 2019: Gedächtnis und Zukunft

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28. Mai 2019
Text: Jolanda Bozzetti

Kubus. Sparda Kunstpreis 2019: Sinje Dillenkofer, Peter Granser, Annette Kelm und Armin Linke.
Kunstmuseum Stuttgart, Kleiner Schlossplatz 1, Stuttgart.
Dienstag bis Donnerstag, Samstag und Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Freitag 10.00 bis 21.00 Uhr.
Bis 23. Juni 2019.

www.kunstmuseumstuttgart.de

www.kubus-kunstpreis.de

Zum vierten Mal vergibt das Kunstmuseum Stuttgart zusammen mit der Sparda Bank Baden-Württemberg den Kubus. Sparda Kunstpreis. In diesem Jahr wurden vier fotografische Positionen nominiert, die die gesamte Bandbreite der Formen und Möglichkeiten von Fotografie umspannen. Bei aller Verschiedenheit der Themen und Herangehensweisen, eint alle vier eine intensive Befragung des gewählten Mediums.

Den Auftakt der Ausstellung macht Peter Granser (*1971), der einen Querschnitt seiner neueren Arbeiten vorstellt. Die Serie „Heaven in Clouds“ zeigt Aufnahmen einer chinesischen Megacity. Blicke auf ein im Bau befindliches Viertel, im dichten Smog steckende Hochhaus-Skelette. Bewusst lässt Granser offen, welche Stadt er hier zeigt. Es sind symptomatische Bilder, die globale Urbanisierungsprozesse dokumentieren.

Menschen treten in diesen Bildern eher als verloren wirkende Zuschauer denn als Akteure auf: Eine weitere Aufnahme zeigt Vater und Kind auf einem spärlich begrünten Hang sitzend, den Blick auf die neblige Stadt gerichtet. Zur selben Serie gehören aber auch farbige Bilder, abstrakten Gemälden gleich. Sie entstanden aus Langzeitbelichtungen von LED-Werbeschildern, deren Reflektionen sich im Smog zu harmonischen Farbverläufen verdichten.

Einen Kommentar zu den sozialen Verhältnissen in Westeuropa bildet die Installation „Die Umkehrung“ von Sinje Dillenkofer (*1959). Unterschiedlich große und tiefe kastenförmige Foto-Objekte spiegeln die Geschlechter- und Machtverhältnisse in der Personalabteilung der DZ-Bank in Frankfurt wieder. Dillenkofer fotografierte jeweils die rechte Fußsohle der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen: Einige große Männerfüße stehen deutlich mehr und deutlich kleineren Frauenfüßen gegenüber. Offen bleibt, ob sich dieses Verhältnis heute, 25 Jahre nach diesen Aufnahmen, geändert hat. Scharfe Trennlinien im wörtlichen Sinne faszinierten Dillenkofer bei Tierzüchtungen etwa von Walliser Schwarzhalsziegen: Vorder- und Hinterteil des Körpers sind in schwarz und weiß aufgeteilt, als sei das Fell nachträglich eingefärbt worden. Die Natur soll hier einer perfekten Norm, einer abstrakten Form entsprechen.

Annette Kelm (*1975) spielt in ihren Fotoarbeiten mit klassischen Bildgattungen wie Stillleben, Landschaft und Porträt. „Judith, old Masters“ etwa, wandelt die Tradition eines klassischen Figurenporträts im strengen Dreiviertelprofil in eine inszenierte Fotostudio-Situation, die vielfältige, auch humorvolle Bezüge schafft und doch rätselhaft bleibt.

Armin Linke (*1966) präsentiert seine Arbeiten als eine Art Ausstellung in der Ausstellung. Dabei folgt er dem „Konzept, sich mit Fotografie über Fotografie auseinander zu setzen“. Gemeinsam mit der Fotohistorikerin Estelle Blaschke (*1976) entwickelte er sein neuestes Projekt „Image Capital“, das im Kunstmuseum Stuttgart nun erstmals zu sehen ist. Die Installation verbindet Aufnahmen Linkes von Bildarchiven wie etwa der Photothek des Kunsthistorischen Instituts in Florenz oder auch dem unterirdischen Zentrum für Langzeitarchivierung von Iron Mountain in Pennsylvania mit Zitaten und Slogans, etwa aus der Recordak-Reklame. „Image Capital“ untersucht die tiefwurzelnden und weitreichenden ökonomischen Implikationen von Fotografie. Die mittlerweile unüberschaubaren Mengen an Bildern, die in verschiedensten analogen und digitalen Archiven gesammelt werden, stellen heute ein Bildkapital dar, das als konzentrierter Informationsträger weit über die Kunst hinaus sämtliche Lebensbereiche bestimmt.