Nilbar Güreş, Lovers/unspeakable home, enchanting companions: Tradition und Aufbruch

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31. Mai 2019
Text: Carmela Thiele

Nilbar Güreş: Lovers / unspeakable home, enchanting companions.
Badischer Kunstverein, Waldstr. 3, Karlsruhe.
Dienstag bis Freitag 11.00 bis 19.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 23. Juni 2019.

www.badischer-kunstverein.de

Es war nur eine Geste, doch die Botschaft war unmissverständlich. Gülkan Noir warb während der Gay Pride Parade 2014 für Offenheit und Veränderung. Auf den Karten, die sie verteilte, war „Töte dein Ego, verzaubere die Revolution“ (Kill Your Ego, Charm The Revolution) zu lesen. Sie trug ein elegantes Trauer-Outfit mit Sonnenbrille. Vier ihrer Freundinnen, Mitstreiterinnen der queeren Community in Istanbul, waren nicht mehr dabei. Das sei ihre Art zu trauern gewesen, sagt sie zu der Videodokumentation, die im Badischen Kunstverein zu sehen ist. Dass es die vorerst letzte große Manifestation der Bewegung in der Türkei war, konnte damals noch niemand wissen. Seit die Polizeigewalt gegen die Gezi-Park-Proteste eskalierte, ist auch die Gay Pride Parade in Istanbul verboten.

In der Türkei ist Kunst zu einem Instrument der Gegenwehr geworden. Es geht um Freiheit, Toleranz und Vielfalt. Wer trotz der zunehmend autoritären Regierung nicht ins Ausland abwandert, hat seine Gründe. Sie bleibe ganz bewusst, sagt Derya Bayraktaroğlu, die Kuratorin der Ausstellung. Für das Projekt „unspeakable home / enchanting compagnions“ hat sie 15 KünstlerInnen und Kollektive eingeladen, deren Ansätze bei genauerem Hinsehen weit auseinanderklaffen.

Die exemplarisch zusammengestellten Objekte, Fotografien und Videos können nur Verweise auf eine in Deutschland wenig bekannte Geschichte sein, die jedoch bereits in den 1970er Jahren begann. Nach dem Militärputsch hatte die abstrakte Malerin Nil Yalter in Paris ihr erstes politisch motiviertes Kunstwerk entwickelt. Von ihr ist ein aktuelles Video in Karlsruhe zu sehen, das die Performance-Künstlerin Melis Tezkan während einer Zugfahrt aufgenommen hat. Feminismus, Kunst und gesellschaftliche Tabus sind ihre Themen, aber im Grunde geht es um Vorbilder, Anknüpfungspunkte für die jüngere Generation. Die 80-Jährige gehört mit der nur drei Jahre jüngeren Malerin Nur Koçak zu den Pionierinnen der feministischen Kunst in der Türkei. Von Nur Koçak ist ein vergrößerter Schnappschuss von einem Dessous-Geschäft in Istanbul ausgestellt, dessen Auslagen die Künstlerin über viele Jahre dokumentierte, um den Wandel der öffentlichen Moral sichtbar zu machen. Solche Fotos sind Ausgangspunkte ihrer fotorealistischen Malerei, mit der sie die Bildwelten des modernen Konsums wie der traditionellen türkischen Gesellschaft kritisiert.

Während also in den 1970er Jahren an Akademien ausgebildete Künstlerinnen politische und feministische Themen aufgriffen, nutzen heute Aktivistinnen künstlerische Mittel für ihre Botschaften. Die dreiteilige Fotoarbeit von Tümay Göktepe etwa dokumentiert den ersten türkischen Trans Beauty Contest 2015. Die Bilder zeigen eine der Bewerberinnen auf dem Steg nur bis zur Hüfte, im Fokus stehen die Fotoreporter, der sensationslustige Mob.

Kunst kommentiert, macht aufmerksam, ironisiert die rückwärtsgewandte türkische Politik. Besonders anschaulich wird dies in der Aktion „A Public Monument; Golden Butterflies“ von 2014. Damals sprühte Leman Sevda Daricioğlu goldfarbene Schmetterlinge auf eine unverputzte Mauer. Der Ort markiert eine Straße, die im Vorfeld eines internationalen Gipfels geräumt wurde. Dort wohnten Prostituierte und Transgender People in friedlicher Gemeinschaft zusammen. Sie wurden mit Polizeigewalt aus ihren Wohnungen geholt und verjagt. Die Behörden ließen die Graffitis des Mahnmals mehrmals übertünchen – worauf die Schmetterlinge wenig später wieder über die Häuserwand flatterten.

Wer von einem Betrieb mit schlechten Arbeitsbedingungen wisse, könne eines der Butterfly-Poster mitnehmen und dort aufhängen, sagt Derya Bayraktaroğlu. Der aktionistische Aspekt der Kunst aus Istanbul soll in Karlsruhe zumindest symbolisch real werden. Auf völlig andere Weise provokativ arbeitet hingegen die Konzeptkünstlerin Deniz Gül, die für Cunt Wet Ausscheidungen einer Vagina nach dem Verkehr auf Papier fixiert hat. Sie hat im Ausland studiert, wie auch Nilbar Güreş, deren feministische Gegenwelten im Obergeschoss des Kunstvereins ausgebreitet sind. Nilbar Güreş arbeitet in ihren Collagen und Fotoinszenierungen mit Textilien, deren Muster für regionale kulturelle Werte stehen. Beide Künstlerinnen nehmen an Biennalen teil und stellen in Galerien aus. Aber auch sie sind insgeheim Aktivistinnen.