Wong Ping / Daniel Dewar & Grégory Gicquel: Über was reden wir, wenn wir über Sex reden

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5. März 2019
Text: Dietrich Roeschmann

Wong Ping / Daniel Dewar & Grégory Gicquel.
Kunsthalle Basel, Steinenberg 7, Basel.
Dienstag bis Freitag 11.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag bis 20.30 Uhr, Samstag und Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 14. April 2019.

www.kunsthallebasel.ch

Als Wong Ping kürzlich mit dem Fahrrad durch Hongkong fuhr, querte ein alter Mann seinen Weg, auf dem Rücken ein prall gefüllter Müllsack. Mit Scheppern kippte er den bunten Inhalt in einen Container und verschwand. Als Wong Ping neugierig nachschaute, fand er Dutzende von Pornofilmen auf VHS-Videocassetten. Der Künstler fragte sich: Was mochte den Alten dazu gebracht haben, diese technisch antiquierte Videosammlung ausgerechnet jetzt zu entsorgen, zehn Jahre nach Schließung des letzten VHS-Werkes? Der Animationsfilm, in dem Wong Ping die Begebenheit zu einer traurigen, absurden, mit perversen Fantasien gespickten Geschichte weiterspinnt, eröffnet derzeit seine Soloschau „Golden Shower” in der Kunsthalle Basel. Umgeben von Tausenden von Plastikgebissen, die von den Wänden blecken, erzählt „Dear, can I give you a hand?” in 80s-Computerspielästhetik vom Altern des Menschen und der Technik in einer Welt, in der alle nur gebannt nach vorne schauen, aber niemand darauf achtet, was zurückbleibt. Der kindliche Look dieses und anderer Filme von Wong Ping steht in krassem Widerspruch zu ihren pornografischen Inhalten, die hier auf paradoxe Weise zugleich Bühne und Schutzraum bieten für wunderbar poetische Miniaturen über Einsamkeit, Entfremdung, das Leiden an gesellschaftlichen Konventionen und die Sehnsucht nach Zugehörigkeit in der Gegenwart der Sozialen Medien. „Sex ist die Sprache, nicht die Botschaft meiner Arbeiten”, sagt der 34-Jährige.

In Basel bespielt er nun gleich fünf Säle mit seinen Video-Animationen, die kürzlich erst im New Yorker Guggenheim Museum zu sehen waren, aber ebenso auf vimeo.com kostenlos abrufbar sind. In den Ausstellungsräumen winken dazu mal auf violettem Flokati-Teppich Hunderte von chinesischen Glückkatzen, deren Pfoten Wong Ping durch Dildos ersetzt hat, mal rotiert auf einem monströsen Schaft unter der Saaldecke ein knallrotes Herz als Werbung für bizarre Videos über einen Bodybuilder mit Genitalproblemen oder die kreative Auslegung von Keuschheitsgeboten. Im letzten Saal schließlich stehen aufblasbare Gummimöbel bereit, die dazu einladen, Platz zu nehmen, um die neuen „Fables” anzusehen. Dass man sich als Zuschauer dieser schrill animierten Porno-Märchen hier zugleich den Blicken der anderen Besucher aussetzt, ist verstörend, aber natürlich beabsichtigt. Denn Wong Ping geht es in seinen Arbeiten immer auch um die Frage, was genau eigentlich noch den Unterschied zwischen privatem und öffentlichem Raum in Zeiten von Tinder und Instagram markiert.   

Aus scheinbar diametral entgegengesetzter Perspektive wirft das britisch-französische Künstlerduo Daniel Dewar und Grégory Gicquel im Obergeschoss der Kunsthalle einen Blick auf die Gegenwart. Für ihre Schau haben die beiden den Oberlichtsaal mit deckenhohen Stoffbahnen in drei Räume unterteilt, in denen sie je ein Werkensemble aus Wandrelief, Sitzbank und – sagen wir: Wohnmöbelorganismus präsentieren. Das jedenfalls legen die üppigen Dick- und Dünndarmschlingen nahe, die sich als überdimensionale Griffornamente auf den Türen eines aus einem einzigen Eichenstamm geschnitzten Schrankes winden oder die zum gebeugten Ochsengespann mutierte Kommode nebenan. Dewar und Gicquel arbeiten analog und delegieren als überzeugte Autodidakten keinen Handgriff an Experten, Assistenten oder Maschinen – alles wird selbst gemacht, vom Entwurf bis zur Montage. Derart ernst bei der Sache, überrascht umso mehr der schräge Humor ihrer Möbel, die immer zwischen Persiflage und Hommage volkstümlicher Tischlertraditionen schwanken, gepaart mit einem Hang zur Groteske und zu obsessiver Sinnlichkeit. Anders als im Museum üblich, dürfen, nein: sollen ihre Objekte angefasst werden. Die hölzernen Schnecken, die über die Sitzbänke kriechen ebenso wie die Schenkel des Liegenden oder die Zitzen der Sau auf dem massiven Eichenholzrelief an der Wand gegenüber. Auch wenn diese wuchtigen Hybride aus Skulptur und Möbel auf den ersten Blick so gar nichts mit Wong Pings Animationen im Erdgeschoss zu tun haben, so erweist sich hier nicht nur das Interesse an surrealer  Erotik als gemeinsamer Nenner, sondern auch die gezielte Aufhebung der Regeln von Nähe und Distanz.