Kelvin Haizel, A New Glaze: Globale Konfliktlinien im Brennglas

Thema
4. März 2019
Text: Dietrich Roeschmann

Kelvin Haizel: A New Gaze 2.
Vontobel, Gotthardstr. 43, Zürich.
Bis 5. April 2019.

Vor gut einem Jahr, als in Malis Hauptstadt mit der 11. Biennale „Recontres de Bamako” die wichtigste Plattform für künstlerische Fotografie in Afrika eröffnete, stand auch Kelvin Haizel mit auf der Künstler­lis­te. Der 1987 in Ghana geborene Fotograf zeigte die Arbeit „Things or No­things”, eine aus Autoscheinwerfern, Schrottteilen und Videoscreens arrangierte Installation, die als Projektionsraum für drastische Unfallbilder diente und das Verhältnis von Bild, Zeit, Objekt und Display in Bewegung versetzte.

Nun hat Kelvin Haizel in den Räumen der Zürcher Bank Vontobel seine jüngste Arbeit gehängt. „Desperately Seeking Forevers II” ist das künstlerische Resultat eines Projektbeitrags in Höhe von 20.000 Franken, den die Bank 2018 zum zweiten Mal ausgeschrieben hatte. Erstmals war der Foto-Förderpreis „A New Gaze” im Jahr zuvor verliehen worden, Preisträgerin war die US-Amerikanerin Eva O’Leary (*1989) mit einer Serie über Teenager in Suburbia. Gemäß des nomadischen Konzepts, nach dem der Preis jährlich unter einem definitierten gesellschaftspolitischen Thema die Fotoszene eines Kontinents in den Blick nehmen will, waren für die zweite Ausgabe Fotoschaffende aus Afrika eingeladen, sich mit Projekten über Migration zu bewerben, die sie mit dem Preisgeld realisieren wollten. Die Idee zu diesem Konzept stammt von Urs Stahel, dem Gründungsdirektor des Fotomuseums Winterthur, der seit 2013 als freier Kurator arbeitet. Die Wahl der Jury, zu der neben Stahel und Vontobel-Sammlungskuratorin Luisa Baselgia auch Julia Grosse, Chefredakteurin des auf zeitgenössische Kunst aus Afrika spezialisierten Magazins C&, sowie Azu Nwagbogu, Leiter des Zeitz Museum of Contemporary Art Africa gehören, rückt mit Kelvn Haizel einen Fotografen in den Fokus, der zwischen Reportage und Feldforschung, Video- und Aktionskunst arbeitet. Für „Desperately Seeking Forevers II” war Haizel mehrere Monate auf den Komoren unterwegs, einer kleinen Inselgruppe im Indischen Ozean nördlich von Madagaskar. Drei der vier Inseln stimmten 1975 für ihre Unabhängigkeit von der einstigen Kolonialmacht Frankreich, eine –  Mayotte – dagegen, unter anderem weil die Frauen nicht ihr überliefertes Recht auf Grundeigentum verlieren wollten, das ihnen bis dahin die finanzielle Unabhängigkeit von ihren Männern garantiert hatte. Seit 2014 gehört Mayotte als 101. französisches Département zur EU. Während die Nachbarinseln, die sich 2001 zur Bundesrepublik zusammenschlossen, heute Platz 165 im Human Development Index belegen, steht Mayotte als Repräsentantin Frankreichs auf Platz 24. Das extreme Armutsgefälle hat in den letzten Jahren zu massiven lokalen Fluchtbewegungen geführt, auf die Frankreich unter anderem mit dem hoch umstrittenen Grenzschutz-Einsatz von Söldnern aus der Fremdenlegion reagierte. Haizels Serie erzählt auf ebenso abstrakte wie eindringliche Weise von diesem Konflikt, der die fatale, globale Dynamik von Umverteilung, Armut und Migration wie in einem Brennglas erscheinen lässt.