Oskar Kokoschka, Retrospektive: Plädoyer für die Gegenständlichkeit

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8. Februar 2019
Text: Annette Hoffmann

Oskar Kokoschka: Retrospektive.Kunsthaus Zürich, Heimplatz 1, Zürich.
Dienstag, Freitag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch undDonnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 10. März 2019.
www.kunsthaus.ch
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen: Kehrer Verlag, Heidelberg 2018, 320 S., 48 Euro | 59 Franken.

Auf ein Bild müssen die Besucher des Kunsthaus Zürich dann doch verzichten. Und das trotz der Fülle von gut 200 Werken. Es ist das Doppelporträt von Oskar Kokoschka und Alma Mahler „Die Windsbraut“ als schlafendem Liebespaar inmitten eines Sturms aus dem Jahr 1913, das sich in der Sammlung des Kunstmuseum Basel befindet. Kokoschka verkaufte es nach der dramatischen Trennung von Alma Mahler, um sich ein Pferd für seinen Kriegseinsatz leisten zu können und aus der nicht minder dramatischen Beziehung mit der Witwe Mahlers in den Ersten Weltkrieg zu fliehen. Den Krieg hatte Oskar Kokoschka (1886-1980) danach zu verachten gelernt, er war einer der von den Nationalsozialisten als „entartet“ verfemten Künstlern und verbrachte die Jahre des „Dritten Reichs“ in verschiedenen Exilländern. Man mag das Fehlen eines solchen Schlüsselwerks bedauern, dem Erfolg der Kokoschka-Schau tut es keinen Abbruch. Die chronologisch aufgebaute Ausstellung evoziert ein Zeitpanorama, das reich an bedeutenden Persönlichkeiten, Weltgeschichte und eben auch der Amour fou mit Alma Mahler ist.

„Expressionist, Migrant, Weltbürger“, so lautet die eingängige Kurzformel, mit der das Kunsthaus Zürich Leben und Werk Kokoschkas zusammenfasst. Seine künstlerische Biografie setzt mit dem Besuch der Kunstgewerbeschule in Wien ein, die nächste wichtige Station war Berlin, wo er unter anderem mit Herwarth Walden zusammenarbeitete, dann folgte Dresden mit einer Professur an der Kunstakademie und noch einmal Wien. Vor dem Nationalsozialismus floh er nach Prag, wo er seine Frau Olda Palkowska kennenlernte. Das Paar verbrachte die Jahre zwischen 1938 und 1953 in England, die letzten knapp drei Lebensjahrzehnte jedoch in der Schweiz. So dass diese Zürcher Retrospektive, es ist die erste in der Schweiz seit gut 30 Jahren, einige Berechtigung hat.

Wenn Oskar Kokoschka zu einem Artist‘s artist wurde – er inspirierte etwa Georg Baselitz oder Nancy Spero, aber auch den 1981 geborenen Schweizer Künstler Denis Sarvary, der eine Nachbildung der berüchtigten Alma Mahler-Puppe zur Ausstellung beisteuert –, dann weil er auch in der Nachkriegszeit nicht von der Gegenständlichkeit abwich. Unter dem Einfluss von Adolf Loos in Wien entschied er sich gegen den Jugendstil. Tatsächlich sind in Zürich geradezu konventionelle Motive aus dem Frühwerk zu sehen, Kokoschka malte Kinder und Katzen, auch religiöse Motive wie den Heiligen Sebastian und die Flucht nach Ägypten. Schnell jedoch entfernt er sich vom perspektivischen Raum, die Figuren sind in einen zersplitterten, fragmentierten Hintergrund eingebettet. In Berlin trug er regelmäßig zu Herwarth Waldens Publikation „Sturm“ bei. Von Kokoschka erschien dort das Drama „Mörder, Hoffnung der Frauen“, das 1907 entstand und vierzehn Jahre später von Paul Hindemith vertont wurde. Kokoschkas Zeichnungen entsprechen ganz dem existenziellen Pathos des Expressionismus. Insbesondere während des Zweiten Weltkriegs werden dann grellbunte Bilder wie 1942 „Marianne – Maquis – Die zweite Front“ entstehen, die symbolisch aufgeladen sind und sich auf das Zeitgeschehen beziehen. Dass viele nicht verstehen wollten, welch menschenverachtendes System sich in Deutschland etabliert hatte, verarbeitete Oskar Kokoschka in hochsymbolischen Bildern mit surrealistischen Zügen. In der Nachkriegszeit schließt er sich jenen Künstlern an, die versuchten Krieg und Totalitarismus durch eine Auseinandersetzung mit antiken Mythen auf eine zeitlose Ebene zu überführen. 1950 vollendet er das Triptychon „Die Prometheus-Saga“, das auch exemplarisch für die Verbundenheit Europas mit der Figuration steht und ein Statement gegen den abstrakten Expressionismus ist, den die USA auch als Vorbild für die alte Welt propagierten. In Zürich lebt diese noch einmal auf, in Fotos, Freundschafts- und Liebesbezeugungen wie Fächer für Alma Mahler und einem Werk, das für sich in Anspruch nimmt ein Seitenstrang der Moderne zu sein.