Big Picture. Das große Format: Momente des Grotesken

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7. Februar 2019
Text: Annette Hoffmann

Big Picture. Das große Format.
Aargauer Kunsthaus, Aargauerplatz, Aarau.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 28. April 2019.
www.aargauerkunsthaus.ch

Man kennt das: Oft muss man nur nahe genug herangehen und das Vertrauteste schaut fremd zurück. Markus Raetz‘ „Portrait von Monika, Divertissement divisionniste (Bildtuch Nr. 3)“ von 1979 besteht aus unzähligen bunten Flecken. Ihre Dichte entscheidet darüber, ob wir eine Nase oder eine Wange erkennen. Raetz übersetzt das Phänomen, dass sich ein Druckbild von Nahem in einzelne gelbe, cyan- und magentafarbene Punkte auflöst in Malerei. So als hätte es den Pointilismus nie gegeben, so als stände Raetz‘ Technik – er hat ein Polaroidfoto mittels eines Episkops auf einen Stoff projiziert – nicht eigentlich mit dem Realismus in Verbindung. Was in der aktuellen Ausstellung im Aargauer Kunsthaus jedoch vor allem zählt, ist die Größe. Und diese ist beträchtlich.

„Big Picture. Das große Format“ heißt die Ausstellung mit Werken von gut 30 Künstlerinnen und Künstlern. Der Titel benennt das Kriterium, nach dem Kuratorin Simona Ciuccio die Sammlung durchforstet hat. Alles was an Werken zu sehen ist in dieser Sonderausstellung, die durch einige wenige Leihgaben ergänzt wurde, hat ein gewisses Format. „Big Picture“ meint jedoch noch etwas anderes: Es kann für das große Ganze stehen, das sich auch aus inhaltlichen Gründen selbst genügt. Wenn die schiere Größe eher selten Leitidee einer Ausstellung ist, muss das nichts mit der geradezu sprichwörtlichen Diskretion des Kunstbetriebs zu tun haben. Vielleicht hat man der Frage nach dem Format bislang einfach nur wenig Erkenntnisgewinn zugetraut.

In Aarau jedenfalls begegnet man megalomanen Vorhaben mit einer gewissen Ironie. Denn diese Melodie kennt man doch, es ist das musikalische Thema aus dem Film „Spiel‘ mir das Lied vom Tod“. Und wer es sich hier pfeift, ist niemand anderes als der Mann im Mond, der gerade in einen Krater pinkelt. Oder genauer: es ist das Alter Ego von Zilla Leutenegger, die sich einen Spaß aus einer kleinen Travestie macht. Bis dahin hat man jedoch eine Reihe von eher ironiefreien Arbeiten gesehen. Größe hat in dieser Themenschau viel mit Präsenz zu tun. Einen ganzen Raum hat man Adrian Schiess‘ Installation „42 flache Arbeiten“ zugestanden. Manche der Platten, die auf Holzbalken liegen, weisen Farbverläufe auf. Als Ganzes gesehen verändert sich der Farbklang von Reihe zu Reihe, im Zusammenspiel mit dem Licht, das sich auf den Lackoberflächen spiegelt. Vor allem lässt sich beobachten, dass mit starken Vergrößerungen ein Moment des Grotesken in die Arbeit einzieht. So führt Balthasar Burkhard in seiner Serie von Schwarz-Weiß-Aufnahmen „Les Jambes/Teil 1“ vor, wie skurril eigentlich so ein Bein ist, tastet die Kamera nur jedes Härchen, jede Narbe, jede Sehne und erst recht die Kniescheibe ab. Dann wird das Leben selbst zu etwas sehr Fragilem, weil es sich auf ein derartiges Beinpaar stützen muss.

Viele der ausgestellten Arbeiten sind durch den eigentlichen Tabubruch gekennzeichnet, dass etwas Privates eine eindrückliche Größe einnimmt. So rückt die zwölfteilige Foto-Installation von Hannah Villiger „Arbeit“ küssende Münder, die Hand auf einem Hintern, der in einer roten Lederhose steckt oder Essen ins Monströse. Während bei Pascal Danz ein biografisches Detail, er wurde 1961 in Bangui in der Zentralafrikanischen Republik geboren, seinen großen Auftritt hat. So hat der Maler ein Dekorationsobjekt aus Stroh zu einem bildfüllenden Motiv gemacht. Die Pose der Tänzerin im Baströckchen erinnert an Josephine Baker, die Gesichtszüge im besten Fall an eine Comicfigur. Das vermeintlich Niedliche zeigt derart isoliert nun den rassistischen, kolonialistischen Blick auf eine andere Kultur. Danz‘ „Exotic Vintage Dancer“ ist hier eine Art Pars pro Toto, an dem demonstriert wird, wie übergriffig unsere Sicht auf Afrika ist. Nur eines tangiert die Ausstellung „Big Picture. Das große Format“ nicht. Sie übergeht die Rolle der Museen und anderer Institutionen bei diesem Hang zur Inszenierung. Ohne repräsentative Räume keine Kunst im Großformat.