Cyprien Gaillard, Roots Canal: Störfaktor in der Erdgeschichte

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1. März 2019
Text: Heidi Brunnschweiler

Cyprien Gaillard: Roots Canal.
Museum Tinguely, Paul-Sacher-Anlage 1, Basel.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 5. Mai 2019.

www.tinguely.ch

Im Museum Tinguely zeigt der französische Künstler Cyprien Gaillard (*1980) drei raumfüllende Arbeiten. Als Geflecht von Metaphern und Loops verweisen sie auf die Grenzen des Menschen als Einflussfaktor der Erde. In die sich endlos drehende Platte der geologischen Zeit schreibt sich der Mensch vielleicht nur als belangloses Geräusch ein.

Im ersten Raum liegen Gaillards Baggerschaufeln als Readymades still und schwer wie archäologische Relikte einer fernen Zeit. Im Gegensatz zu Tinguelys ratternden Ungestümen, die sich gegen ihren Zerfall auflehnen, scheinen sich Gaillards Schaufeln der Entropie hinzugeben. Als Pioniere der Ingenieurskunst erinnern sie an die Mechanisierung des Bergbaus und des Bauwesens im Zuge der Industrialisierung. In ihre Befestigungslöcher sind zerbrechliche Onyx-Stäben eingelassen. Behauen und poliert schaffen sie als filigrane Leuchtkörper formal einen starken Kontrast zu den groben, erodierenden Metallschlünden. Beide erinnern an das unablässige ausbeuterische menschliche Tun.

Die Filmarbeit „KOE” wendet sich dem Luftraum zu. Wir gleiten wie ein sich drehender Lastenausleger eines Krans in schwindelerregender Höhe durch die Lüfte. Dem Schwarm giftgrüner exotischer Halsbandsittiche folgend segeln wir vom Rande des Düsseldorfer Hofparks an der Kö durch die Stadtkulisse. Ein heterogener Mix aus Baustilen und Baustellen zeugt vom permanenten menschlichen Umgestaltungswillen. Nach jedem Vogelflug kehren wir an den Rand des Hofgartens zurück, wo sich die Sittiche am Abend in den Baumkronen zum Schlafen versammeln. In Weitwinkeleinstellung öffnet sich dort die mächtige, erhabene Blätterkulisse des Parks und lässt das Bronzestandbild eines längst vergessenen Malerfürsten unbedeutend erscheinen. Die rotierende, schnelle Bewegung der Bilder, der wir durch die Grossbildprojektion ausgeliefert sind, überträgt sich bald auf unseren Körper. Wir beginnen zu Taumeln und werden Teil einer endlosen Dynamik, die an die Erddrehung und die geologische Zeit und die Bedeutungslosigkeit des menschlichen Strebens erinnert.

Das Musikvideo „Nightlife” in 3D-Technik ist ein aufpeitschender Tanz durch menschenleere nächtliche Stadträume. Vier Szenen sind lose auf die Geschichte des Rassismus in den USA bezogen. Zunächst wird die beschädigte Kopie von August Rodins „Der Denker” in Cleveland aus dem Dunkeln geholt. Als Inbegriff weisser Vorherrschaft wurde sie anfangs der 1970er-Jahre im Umfeld von Black Power und der Anti-Vietnamkrieg Bewegung gesprengt. Im nächtlichen Los Angeles bäumen sich Wachholderbäume, die aus Afrika stammen, exaltiert im psychedelischem Flackerlicht auf und peitschen gegen Betonmauern und Maschendrahtzäune und andere Begrenzungen der städtischen Infrastruktur. Die botanische Revolte gleicht dem aussichtlosen Kampf der US-amerikanischen Schwarzen, sich in einer rassistischen Gesellschaft zu behaupten. In Berlin wird ein Feuerwerkspektakel auf dem Gelände des Olympiastadions von einer Drohne gefilmt. Dort gewann der Schwarze Jesse Owen aus Cleveland 1936 an den Olympischen Spielen zu Hitlers grossem Erstaunen vier Goldmedaillen. Als Geschenk erhielt er eine entsprechende Anzahl deutscher Eichen, die er in seiner Heimatstadt einpflanzte. Der Film endet in Cleveland mit dem einzig heute verbliebenen Exemplar.

Cyprien Gaillards betörender Dub-Mix von Alton Ellis’ „Black Man’s World” von 1969 und „Black Man’s Pride” von 1971 hüllt „Nightlife” und die gesamte Ausstellung im Museum Tinguely atmosphärisch ein. Als Aufschrei ist der geloopte Soundtrack ein Fiebertraum in Themenfeld von „Race” und Revolution. Als endlos leierndes Geplärr erinnert er an die geologische Zeit, in der das Zeitalter des Menschen eventuell nur Kratzer im Tonträger sein wird.