Ed Atkins: Klug kalkulierter Horror

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6. Februar 2019
Text: Dietrich Roeschmann

Ed Atkins.Kunsthaus Bregenz, Karl-Tizian-Platz, Bregenz.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 31. März 2019.
www.kunsthaus-bregenz.at
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog: Bregenz 2019, ca. 260 S., 42 Euro.

Längst haben wir uns an die kantigen Bewegungen von Computerspiel-Charakteren gewöhnt, an ihr unterkomplexes Mienenspiel, die reduzierte Körpersprache. Das mag im ersten Moment charmant wirken. Tatsächlich könnte man in dieser Unbeholfenheit aber auch die Performance eines dauerhaften Scheiterns erkennen. Warum es im digitalen Raum einfach nicht gelingen will, eine angemessene Darstellung des menschlichen Körpers jenseits der Lächerlichkeit zu entwickeln, lässt auch die Figuren in den Videoarbeiten des Briten Ed Atkins (*1982) regelmässig verzweifeln. Tränenüberströmt und immer irgendwie in Auflösung begriffen, streunen seine Avatare durch eine idyllische Cyberworld voller romantischer Klischees, durch albtraumhafte Loops, pseudomittelalterliche Settings oder klinische Dystopien. Das ist oft komisch und seltsam anrührend zugleich, immer aber von einem tief melancholisch gestimmten Horror durchzogen.   

Im Kunsthaus Bregenz, wo Ed Atkins derzeit seine bislang umfassendste Einzelausstellung zeigt, empfängt einen gleich im Erdgeschoss die raumgreifende Video- und Soundinstallation „Safe Conduct” (2016). Drei große Screens hängen hier wie Tierhälften im Schlachthof an einem robusten Stahlgerüst. Zur langsam anschwellenden Brandung von Maurice Ravels „Bolero” zeigen sie zeitversetzt ein animiertes Video, in dem abgeschnittene Hände, frische Nieren, blutige Hirne, Waffen oder Steaks aus dem Off in weiße Plastikschalen fallen, die sich wie bei der Sicherheitskontrolle am Flughafen auf einem Rollband durch den Bildraum bewegen. Hin und wieder rückt ein selbstvergessen vor sich hin singender junger Mann ins Bild und versucht, sich selbst zu zerlegen. Doch unter jedem der zahllosen violett geäderten Hautlappen, die er sich als bleiche Masken vom Gesicht zieht, erscheint erneut das gleiche Antlitz – als gäbe es absolut nichts, kein Geheimnis, kein intimes Anzeichen von Einzigartigkeit, das sich hinter der Oberfläche seiner computergenerierten Identität verbergen könnte. Begleitet von der scheinbar endlosen Wiederholung des „Bolero”-Themas steigern sich Pathos, Witz und Lautstärke hier gegenseitig bis zur finalen Leere. In den Hall des abrupten Schlussakkords mischt sich vom Stockwerk darüber derweil bereits das Stöhnen und Jammern der heulenden Protagonisten aus Atkins’ jüngster Werkgruppe „Old Food”. Auf einem der zahlreichen Videoscreens, die sich hier in den Hängeregalen eines nach Farben sortierten Kostümfundus verteilen, sieht man einen Jungen atemlos durch eine Waldlandschaft aus dem Bildraum flüchten, wieder und wieder, als gäbe es kein Entkommen. In einem Video nebenan regnen massenhaft menschliche Körper wie Puppen vom Himmel und verschwinden in einem schwarzen Loch, andere rotten sich zu Dutzenden in einer großen Menge zusammen, die dann wie durch höhere Gewalt auseinander gesprengt wird, während gegenüber ein Video-Tutorial verschiedene Sandwich-Rezepte vorstellt mit Belägen wie Kinderleibern, Knochen, Herbstlaub oder Sperrmüll, wahlweise begraben unter Mayo-Dressing oder BBQ-Sauce.

Trotz der Künstlichkeit der Oberflächen und des surrealen, oft absurden Humors, entfalten diese Videos einen zwingenden Sog ins Unbehagliche. Mit ein Grund dafür ist Ed Atkins’ Blick auf die schiere Materialität des menschlichen Körpers und die Frage ihrer Belebung durch digitale Datenströme. Nicht zufällig erscheinen Körper bei ihm oft als weiche Transformatoren, die mit Erinnerungen, Ahnungen oder Verletzungen gefüttert werden, sie in Angst oder Sehnsucht verwandeln, welche sich wiederum in unablässig aus den Augen quellenden Tränen materialisiert oder in anderen Körperflüssigkeiten. In „Happy Birthday” etwa stehen dem mit Demenz und Wahrnehmungsstörungen kämpfenden Protagonisten die erbrochenen Erinnerungen bis zum Hals, bevor er darin ertrinkt, in „Hisser” wird er von unendlicher Einsamkeit zu Boden gedrückt, der er sich schließlich singend ergibt. Dass man für diese Figuren fast Mitleid empfindet, gehört durchaus zu Atkins klug kalkuliertem Horror. Denn wer sagt schon, dass selbst offensichtliche Fakes nicht auch echt empfundene Emotionen auslösen können?