Athene Galiciadis

Porträt
4. Februar 2019
Text: Dietrich Roeschmann

Athene Galiciadis: Spiraling Shifts.
Nidwaldner Museum, Mürgstr. 12, Stans.
Mittwoch 14.00 bis 20.00 Uhr,Donnerstag bis Samstag 14.00 bis 17.00 Uhr, Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
22. Februar bis 4. August 2019.
www.nidwaldner-museum.ch

A chair, projected (mit Athene Galiciadis u.a., kuratiert von Burkhard Meltzer)
BolteLang, Limmatstr. 214, Zürich.
Bis 16. März 2019.
www.boltelang.com

Athene Galiciadis: An Acrylic Glass Pyramid and Three Pendulums attached to a Triangle on a Table, Edition Patrik Frey, Zürich 2018, 176 S., 46 Euro |ca. 56.90 Franken.

In der Gemeinde Wald im Appenzeller Vorderland, rund 15 Kilometer östlich von St. Gallen, steht außerhalb des Weilers Birli ein schönes Gut mit großem Garten. Seit den 1990er Jahren lädt die Schlesinger Stiftung, der das Anwesen gehört, junge Kunstschaffende für je ein Jahr zum Arbeiten in diese ländliche Idylle ein. Athene Galiciadis, 1978 als Kind griechischstämmiger Flüchtlinge aus Ungarn im nahen Altstätten geboren, war schon zweimal im Haus. 2005, während ihres Kunststudiums an der ZHdK, arbeitete sie hier zusammen mit Agnieszka Guzek und Cristina Golland an einer fiktionalen Erweiterung der Dorfgeschichte samt partizipativer Performance. 2018 kam sie dann erneut als Stipendiatin ins Birli, diesmal allein und mit einem Projekt über Emma Kunz (1892-1963) im Gepäck. Die im Aargau geborene Naturheilerin hatte Anfang der 1940er Jahre in Würenlos bei Zürich ein Gestein entdeckt, dem sie besondere Heilkräfte zusprach. Sie begann es in großem Stil abzubauen und verarbeitete es zu einem Pulver, das noch heute als Heilerde unter dem Namen „Aion A” verkauft wird. Kunz war überzeugt davon, dass jede erdenkliche Form von Materie, jeder Zustand des Lebens, jede Gegenwart von unsichtbaren Kraftströmen durchflossen sei. Um diese sichtbar zu machen, hatte sie 1938 begonnen, mithilfe eines Pendels Buntstift-Zeichnungen auf Millimeterpapier anzufertigen. Ihre geometrischen Abstraktionen in zarten Pastelltönen gelten heute als Ikonen einer modernistisch geprägten Kunst auf der Schwelle zwischen Glauben und Wissen, Spekulation und Vernunft.

Auf dem Cover des Künstlerbuchs, an dem Athene Galiciadis während ihres jüngs­ten Aufenthalts im Birli arbeitete, sieht man sie vor einer pyramidenartigen Konstruktion stehen, von der drei Pendel baumeln. An der Rückwand reihen sich Zeichnungen und Aquarelle mit geometrischen Mustern aneinander, wie Galiciadis sie seit längerem als Vorlagen für die Bemalung ihrer großen, handgetöpferten Keramikgefäße verwendet: schwarzweiße Zickzack-Linien, Dreieck-Pattern in Komplementärfarben, Stab- und Rautenraster, die Strenge grundsätzlich gebrochen durch die Spontaneität der Handzeichnung. In Ausstellungen arrangierte sie diese immer leicht verbeulten, aus der Form geratenen Tonobjekte in den vergangenen Jahren oft mit tangram-artigen Beton-Elementen zu skulpturalen Landschaften, präsentierte sie in hinreißend prekärer Verfassung auf waghalsig ausbalancierten Plexiglaswippen oder machte sie zu Protagonisten eines gezielten Verwirrspiels zwischen Kunst und Design, Skulptur und Möbel. Ihre Beschäftigung mit Emma Kunz – die sich selbst übrigens keineswegs als Künstlerin verstand, sondern lediglich als Übersetzerin verborgener Zusammenhänge zwischen Raum, Zeit und Geist – ist da nur konsequent. Das Werk der Heilerin lässt sich durchaus im Kontext ganzheitlicher künstlerischer Ansätze entziffern wie sie etwa das Bauhaus in seiner esoterischen Frühphase vertrat. Die rund 60 Zeichnungen auf Millimeterpapier, die Galiciadis in ihrem Künstlerbuch versammelt, lassen sich als Reflexionen über die historische Idee der irrationalen Kräfte hinter den Formen verstehen, welche das visuelle Vokabular der Moderne bilden. In ihrer aktuellen Soloschau im Nidwaldner Museum führt die Künstlerin diese Auseinandersetzung nun auf neuer Ebene weiter. Erstmals sind hier auch ihre fragilen Glasobjekte aus jüngster Zeit zu sehen, mit denen sie ihre Arbeit gezielt um den Aspekt des Lichts erweitert.