Tief verwurzelt – weit verzweigt

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23. November 2018
Text: Iris Kretzschmar

Tief verwurzelt – Weit verzweigt.
Helvetia Art Foyer, Basel.
Bis 31. Januar 2019.

www.helvetia.ch/art

Bis heute ist die Faszination für den Wald in der Bildenden Kunst ungebrochen. Lange verdichteten sich im Forst auch Urängste des Menschen, wie die Furcht vor dem Dunklen und Unergründlichen, oder er diente als Projektionsfläche für Sehnsüchte nach der Vereinigung mit der Natur. 1814 malte Caspar David Friedrich „Der Chasseur im Walde”: Ein winziger, einsamer Soldat steht verloren zwischen übermächtigen Bäumen – ein romantisches Sinnbild für die Überwältigung durch das Erhabene.

In der Ausstellung „Tief verwurzelt – Weit verzweigt” steht Aufgeklärtes neben Geheimnisvollem, digitale Künstlichkeit kontrastiert analoges Pinselwerk. Das Kuratorenduo Nathalie Loch und Andreas Karcher präsentiert 16 Arbeiten aus der Sammlung der Helvetia, die insgesamt 1.800 Werke von rund 400 Schweizer Kunstschaffenden umfasst. Unter die junge Schweizer Szene mischen sich hier auch Basler Maler, die auf die Anfänge der Kollektion zurückweisen. Das Unterholz bei Max Kämpf erscheint in vornehmer Grisaille, während Albert Müller unter Einfluss von Ernst Ludwig Kirchner expressive Farbigkeit walten lässt. Wild und ungezähmt treten auch die Bäume von Markus Gadient im „Zyklus Wildenstein” (2002) in Erscheinung. Fast ungegenständlich im Ausdruck sind sie aus gelben und violetten Pinselschlägen gewachsen. Auf das Eigenleben in der Unterwelt konzentriert sich Alain Huck mit „Twin Roots” (2014). Seine grossformatige Kohlezeichnung zeigt das undurchdringliche Labyrinth des Wurzel-Netzwerks zweier Bäume.

Die Lebensenergie des Kreatürlichen wird im geheimnisvoll leuchtenden „baumportrait” von Miriam Cahn, datiert vom 9.6.1996, deutlich. Wie fragil die Wesen sind, zeigt Sonja Feldmeiers „Hirsch” (2009), eine Mischung aus Zeichnung und Collage. Blickfang ist die schwere, blutrote Erweiterung des Geweihs. Verletzlichkeit der Lebewesen wird auch in Yves Netzhammers Digitalprint von 1999 zum Thema. Im leeren Raum krümmt sich ein weisser Hirsch mit blauem Geweih ungelenk unter den übermächtigen Auswüchsen seines Kopfschmucks. In der geheimnisvoll poetischen Darstellung wird das Leid des anonymen Tieres zur allgemeingültigen Metapher überzeichnet.

Noch stärker appellieren die Lichtbilder von Julian Charrière und Julius von Bismarck an uns. In Zeiten einer forcierten Bedrohung der Natur richten sie ihren Fokus auf die nuklear verseuchte Zone von Tschernobyl. Dazu montierten die Künstler eine Kamera aufs Geweih eines lebendigen Hirsches, um Aufnahmen der Reflexionen auf seiner Augenwölbung zu machen. In sphärischer Verzerrung tauchen menschleere, von Ruinen durchsetzte Waldlandschaften auf. Eine Strahlkraft der anderen Art besitzt der „Stammbaum” (2009) von Marianne Engel. Magisch phosphoreszierend leuchtet er aus dem dunklen Raum auf – Lebensbaum und Verbindung zum Numinosen zugleich. Mit ihrer fotografischen „Hommage” (2015) an Caspar David Friedrich schlägt Cécile Wick schliesslich den Bogen zu den romantischen Anfängen der Naturbewunderung. In monochromatischen Farben gedruckt erscheint eine Nebellandschaft. Dunkle Baumsilhouetten umfangen eine helle, leere Mitte, alles löst sich im diffusen Licht auf. Auch Uwe Wittwers Inkjet-Print von 2003, lässt die Erscheinung der Natur in feinsten Grautönen wie eine verblassende Erinnerung wirken. Ein Abgesang oder Neubeginn?