Renato Leotta und Valentina Stieger: Von Outdoor zu Indoor

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22. November 2018
Text: Dietrich Roeschmann

Renato Leotta & Valentina Stieger.
Kunst Halle Sankt Gallen, Davidstr. 40, St. Gallen.
Bis 2. Dezember 2018.

www.k9000.ch

Der Weg zu der neuen Installation „Indoor Life” von Valentina Stieger (*1980) führt durch ungewohnt ursprüngliches Terrain. So hat der in Sizilien geborene Künstler Renato Leotta (*1982) im ersten Saal der Kunst Halle Sankt Gallen eine äußerst romantische Spur ausgelegt. 29 Strände besuchte er dafür in den vergangenen drei Jahren auf der Mittelmeerinsel, und von jedem dieser Plätze, an denen die Wellen ans Land rauschen und die Sonne den Sand wärmt, nahm er einen Gipsabdruck. Unter dem lakonischen Titel „Sandsammlung” sind diese Bodenproben nun im Kunstraum auf niedrigen Podesten zu einem Archiv der Sehnsuchtsorte sortiert, das von Lavaschwarz bis Marmorweiß reicht und in Sachen Haptik von garstig-spitz bis samtweich. An den Wänden hängen dazu passend monochrome Hochformate mit halb verblichenen blauen Horizonten, die Leotta vom salzigen Meerwasser „malen” ließ. Romantisch ist das natürlich nur auf den ersten Blick, denn tatsächlich markierten die Strände Siziliens schon immer eine nicht gerade konfliktarme Transitzone am Rand Europas. Im frühen Mittelalter waren sie Anlandepunkte für normannische, griechische oder arabische Eroberer, heute – oder zumindest bis vor kurzem – sind sie rettendes Ufer für Geflüchtete aus Afrika mit der Hoffnung auf ein besseres Leben. Man kann Renato Leottas Arbeit so als materialsensibles Porträt einer Landschaft lesen, die das Resultat zahlreicher, sich gegenseitig überlagernder geologischer und geopolitischer Prozesse ist.

Im Raum nebenan herrscht dagegen eine geradezu futuristische Kargheit, Laboratory Style. Unter grellem Deckenlicht bahnen sich Valentina Stiegers Metallgerüste aus dünnen Vierkantrohren den Weg an der Wand entlang wie niedrige Geländer. In der Regel schützen solche Barrieren Gemälde in Museen oder gepflegte Rasenstücke. In St. Gallen wuchern sie auch schon mal funktionslos die Wand hinauf oder verkanten sich mit anderen zum tischhohen Gestellen für Acrylglasscheiben, die den Raum schichtweise auffächern in ein begehbares konstruktivistisches Bild. Darin verteilt stehen große, weiße Wachsquader, aus denen sich dicke Seile wie Dochte schlängeln. „Another Ambient System”, so der Titel dieses skulpturalen Koordinatennetzes, das sich zwischen den Achsen Kunst, Leben und Design aufspannt, erweist sich als ausufernde Version der eher zurückhaltenden, modernistisch-eleganten Werk­serie „Harmony Triumphs Again”, die Stieger im Herbst 2017 bei Stampa in Basel zeigte. In St. Gallen entfalten ihre kühlen Interieurs nun eine ganz eigene Dynamik, diffundieren in alle Richtungen, verschmelzen miteinander und wirken in der Gesamtschau wie das 3-D-Still einer animierten Indoor-Landschaft aus dem digitalen Einrichtungsplaner. Dass hier in allen Ecken mit Vanille-Duft eingesprühte Tennissocken herumliegen verweist mit lässiger Nonchalance auf den aktuellen Wohntrend, die eigene Privatsphäre so zu gestalten wie eine Ansammlung öffentlicher Räume, wie Lounge, Spa, Bar, Fitness-Studio oder Boutique.