Tacita Dean: Vom Verschwinden einer Welt des Sehens

Tacita Dean, Antigone, 2018, Filmstill, Courtesy te artist
Review > Bregenz > Kunsthaus Bregenz
21. November 2018
Text: Dietrich Roeschmann

Tacita Dean.
Kunsthaus Bregenz, Karl-Tizian-Platz, Bregenz.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 6. Januar 2019.

www.kunsthaus-bregenz.at

Tacita Dean, Antigone, 2018, Filmstill, Courtesy te artist

Es dampft und blubbert, zischt und brodelt, und wenn der Nebel aus den Schwefelhöhlen in den fahlen Himmel aufsteigt, weitet sich dahinter der Blick in eine verkrustete Einöde. Tacita Dean hat diese kochenden Erdlöcher im Yellowstone Nationalpark aufgenommen, mit einer zentnerschweren Analogkamera, wie sie früher für Kinofilme benutzt wurde. Jetzt pulsieren ihre Bilder auf einer riesigen Doppel-Leinwand im Kunsthaus Bregenz, wo die britische Künstlerin vier Arbeiten aus den vergangenen Jahren in einer konzentrierten Werkschau von archaischer Wucht inszeniert hat.

Im Zentrum steht der 35mm-Film „Antigone”, eine einstündige Hommage an die mythische Protagonistin des zivilen Widerstands gegen Gewaltherrschaft – und an die Schwester der Künstlerin. Zwanzig Jahre trug Dean dieses Projekt im Kopf mit sich herum und begann 2017 schließlich mit den Aufnahmen. Sie filmte Geysire in Wyoming, Hünengräber im Bodmin Moor und glühende Sonnenuntergänge über der Eisenbahnbrücke an den Ufern des Mississippi in Illinois, gesehen vom Balkon des Gerichtsgebäudes der 350-Seelen-Gemeinde Thebes aus, wo Abraham Lincoln einst als junger Richter arbeitete. Tacita Dean lud dazu die kanadische Dichterin Anne Carson ein und ließ sie in dem alten Gemäuer aus ihrer umgangssprachlichen Überarbeitung von Sophokles’ Tragödie rezitieren, kommentiert von „Game of Thrones”-Schauspieler Stephen Dillane, der hier auch mal in der Rolle von Antigones Vater Ödipus mit Bart und Blindenstock durch die Welt irrt und Selbstgespräche unter zerzausten Wacholderbüschen führt. Eingebettet ist dieser verwickelte Dialog zwischen Mensch und Natur, Mythos, Geschichte und Gegenwart in Filmausschnitte einer totalen Sonnenfinsternis, die Dean durch Abdeckung einzelner Frames zugleich auf dem Zelluloidstreifen imitiert. Immer wieder zerfällt die Doppelprojektion so in ein mehrteiliges Puzzle, in dem sich die unterschiedlichen Erzählungen, Bilder, Orte und Stimmungen durchdringen.

Diese Engführung von Dramaturgie und Schnitttechnik ist typisch für Tacita Dean. Zentral geht es der Britin in ihren Arbeiten um die materiellen Aspekte des Mediums Film. Aufnahme, Entwicklung und Bildbearbeitung sind bei ihr zeitaufwendige analoge Prozesse, und jede Projektion ist immer zugleich eine Performance der fortschreitenden Materialermüdung. Vom Verschwinden einer ganzen Welt des Sehens erzählt die Arbeit „Film” von 2011. Hintergrund dieses Medienporträts war die Schließung der letzten fotochemischen Filmfabriken in Europa. Für ihre Collage arbeitete sie mit alten Filmtechniken wie Maskierung und Handkolorierung, montierte abstrakte Farbfelder und Aufnahmen von Industriearchitekturen, Obstkisten oder Augen zu einem warm flackernden visuellen Poem, das die Sinnlichkeit der Synthese von Licht und Material im analogen Film feiert. Diese Qualität atmen auch die Künstlerporträts, in denen Dean sich dem Sehen mit den künstlerischen Mitteln der Porträtierten nähert. Mario Merz saß ihr dafür ebenso Modell wie Cy Twombly, Claes Oldenburg und Merce Cunningham, dessen Porträt in Bregenz ein ganzes Stockwerk füllt. In sechs 16mm-Filmen performt der 2009 verstorbene Avantgarde-Tänzer hier die legendäre Kompostion „4’33”” seines Arbeits- und Lebensgefährten John Cage. Aus unterschiedlichen Perspektiven gefilmt, verharrt der 90-Jährige sitzend für die Dauer der einzelnen Akte in je einer Pose. Durch die offenen Fenster seines New Yorker Studios dringt der Straßenlärm, übertönt vom sanften Rattern der Projektoren im Kunstraum. Tanz, Performance, Film und Realität verschränken sich hier zu einem Loop, der das vermeintlich stumme Cage-Stück zu jenem Resonanzraum des Augenblicks macht, der schon immer in ihm angelegt ist.

Atemberaubend still dagegen bleibt das Tosen der Naturgewalten, deren Effekte Tacita Dean in zwei riesigen Kreidezeichnungen einer Lawine und eines Bergsturzes im Erdgeschoss festgehalten hat. Als atmosphärische Erkundungen des Verhältnisses von Motiv und Material, Raum und Licht, Natur- und Bildgewalt markieren sie zugleich Schluss und Start dieser Werkschau.