Das Subjekt als Medium einer äußeren Realität

Review > München > Städtische Galerie im Lenbachhaus
18. November 2018
Text: Christoph Sehl

Weltempfänger: Georginia Houghton – Hilma af Klint – Emma Kunz.
Lenbachhaus München, Luisenstr. 22, München. Dienstag 10.00 bis 20.00 Uhr, Mittwoch bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 10. März 2019.

www.lenbachhaus.de

Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen:
Hirmer Verlag, München 2018, 276 S., 39,80 Euro / 52.90 Franken

Die Kartografierung der Kunstgeschichte hält immer ein paar Unschärfen bereit und das vor allem, wenn man sie in Epochen gliedert und ihnen charakteristische Merkmale verleihen möchte. Versetzt man sich ans Ende des 19. und in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, ist es üblich von der Moderne zu sprechen mit all ihren Implikationen des technischen Fortschritts und in der Kunst der Auflösung, Ablösung oder Umbesetzung der tradierten ikonografischen Bildprogramme. Dass sich diese Entwicklungen auf vielen Ebenen vollziehen, mag kaum irritieren; dass nur einige Eingang in ein kanonisches Verständnis der Kunst finden, verwirrt dann, wenn man den Blick hinter diesen Kanon wirft.

Die Ausstellung „Weltempfänger” nimmt gezielt diese Perspektive auf die Moderne ein und legt dabei bislang wenig offensichtliche Aspekte frei. Mit Arbeiten der Künstlerinnen Georgiana Houghton (1814-1884), Hilma af Klint (1862-1944) und Emma Kunz (1892-1963) sowie der Filmemacher Harry Smith (1923-1991) und den Brüdern John (1917-1995) und James Whitney (1921-1982) spürt diese Schau einem spirituell geprägten Verhältnis zur Kunst nach. Die Bilderzeugung hat sich hier von einem figurativen Verständnis und von mimetisch an der Wirklichkeit orientierten Darstellungsformen verabschiedet. Stattdessen kreist sie um Erfahrungszusammenhänge, die sich in abstrakten Bildformulierungen niederschlagen. Eine übersinnliche Realität zieht in ihre Arbeiten ein, deren konkrete Evidenz für die Künstlerinnen und Künstler außer Frage steht.

Wassily Kandinskys „innere Notwendigkeit” – im Kontext der Entwicklung der Malerei von der Figuration zur Abstraktion – klingt hier an. Die Parallelen sind erstaunlich. So lassen sich die Bilder von Hilma af Klint durchaus als abstrakte Malerei begreifen und würden in diesem Sinne zeitlich vor Kandinskys Thesen liegen. Af Klints Zugang zur Malerei löste sich vom Subjektbegriff ab, als Künstlerin verstand sie sich lediglich als Medium, durch das sich eine Realität außerhalb der sinnlichen Erfassbarkeit in ihre Bilder einschreiben sollte. Ihrem Verständnis nach gab es bei ihr keine Autorschaft – die Notwendigkeit des Gestaltens lag im Äußeren.

Dass sich die Elemente der Bilder zumeist in symmetrischen, zentrierten Kompositionen anordnen und farblich Anklänge an Goethes Farbenlehre aufweisen, die in spirituellen Kreisen durch die Theosophie transportiert wurde, kennzeichnet auch die Arbeiten von Emma Kunz. In dieser Hinsicht liegen sie und Af Klint im Programm religiösen Bildgestaltens. Der Eindruck, dass die Narrative des christlichen Glaubens, auf die gelegentlich zurückgegriffen wird, nicht mehr in die neuen spirituellen Erfahrungen passen, drängt sich auf. Intuitiv leuchtet bei den Künstlerinnen die Tendenz zu ordnenden, klärenden Strukturen auf, die eine Neupositionierung im Kosmos der eigenen Gegenwart einzuleiten meint. Georgiana Houghton bildet darin ein erstaunliche Ausnahme. Ihre Bilder werden von Verwirbelungen und Überlagerungen von Schichten beherrscht, die noch in ihrer Farbgebung gegeneinander arbeiten. Hier entstehen keine Zusammenführungen, Skalierungen, wie etwa bei Emma Kunz auf Millimeterpapier gezeichneten Bildern, es sind chaotische, gegenläufige Bewegungen, Strudel. Ihre Bilder geben keine Rückübersetzungen auf das sinnliche Verständnis des Menschen. Als Medium erscheint sie als Mensch und das Übersinnliche ihr inkommensurabel.

Man könnte es so sehen: Die Ausstellung „Weltempfänger” deckt den Aspekt der Selbstbehauptung des Künstlersubjekts auf, wo dieses am radikalsten bestritten wird – und das genau in dem Moment der Moderne, an dem Selbstbehauptung beginnt, den Kanon der Kunst zu bestimmen.