Marie Matusz: Die Skulptur als Denkbild

Porträt
15. November 2018
Text: Annette Hoffmann

Marie Matusz: Caravan 1/2019.
Aargauer Kunsthaus, Aargauerplatz, Aarau.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
26. Januar bis 28. April 2019.

www.aargauerkunsthaus.ch

Regionale 19, HeK Basel, 24. November 2018 bis 6. Januar 2019.

mariematusz.com

Es kann passieren, dass man Arbeiten von Marie Matusz (*1994) sieht, wie etwa zuletzt in der Gruppenausstellung „Hunter of Worlds“ im Basler Off-Space Salts, und denkt, aha, mehrere Pfeile, die eine tragende Wand durchbohren, eine Hülle für diese und auf dem Boden ein Haufen Grafit. – Natürlich ist es immer komplizierter. Doch bei der jungen Französin, die über ein Studium der Philosophie und Literatur zur bildenden Kunst kam, ist es noch ein bisschen komplizierter. Denn eigentlich befindet man sich mitten in einem Raum gewordenen Rätsel oder zumindest in einem Denkbild.

Marie Matusz setzt voraus, dass der Betrachter eine ähnlich große Freude am allegorischen Denken hat wie sie selbst, dass die Verbindung zur europäischen Geistesgeschichte noch lange nicht abgebrochen ist. Denn dann versteht man, dass es ihr einerseits um die Reflexion über das Verhältnis von Kunst und Natur geht, das insofern ein reziprokes ist, indem das Grafit als Naturprodukt jetzt zwar Kunst ist, aber wieder Natur werden kann. Und dass die Pfeile nur industriell aussehen, aber von der Künstlerin selbst aufwendig hergestellt wurden als Stellvertreter für jene ersten Werkzeuge, die Menschen schufen: irgendwie edel, aber auch ziemlich gefährlich. Man könnte auch sagen, diese Pfeile sind nichts anderes als ein Sinnbild für Kunst, die Denkbewegungen auslöst, indem sie abgeschossen werden. Eigentlich also gehören diese drei Arbeiten notwendigerweise zusammen und lassen sich als System verstehen, das sich selbst abbildet. Ihre Kunst formuliere Fragestellungen, sagt Marie Matusz, keine Antworten, denn diese kenne sie selbst nicht.

Besucht man die Künstlerin in ihrem Basler Atelier mit der Sprossenfensterfront, das direkt am Rhein liegt, und spricht mit ihr über ihre Arbeit, kommt man nicht umhin, an linguistische Kommunikationsmodelle zu denken. Wie die Sprache so kommt auch die Kunst nicht aus ihrer Haut. Wenn es Wörter braucht, um Sprache zu beschreiben, so braucht die Kunst die Anschauung, um sichtbar zu werden. Dabei geht es Marie Matusz nicht um die reine Ästhetik. Bei der letzten Regionale zeigte sie im Kunstverein Freiburg die ortspezifische Arbeit „On the Controversies of Horizontal Discursivity“. Über die vier Seiten der Galerie spann sich ein Netz über die Ausstellungshalle. Merkwürdige Objekte wie Trinkflaschen in Bombenform waren auf ihm zu liegen gekommen. Das Netz bezog sich nicht etwa auf diejenigen, die in Gefängnissen Suizide verhindern sollten, sondern auf eine Praxis in China, Gebäude mit solchen Sicherheitsnetzen auszustatten. Zu viele verzweifelte Verschuldete hatten sich in den Tod gestürzt – und andere waren auf den Schulden sitzen geblieben.

Jetzt kurz nach ihrem Abschluss am Institut Kunst an der Basler Hochschule für Gestaltung und Kunst – zuvor hatte sie am HEAD in Genf 2016 ihr Examen gemacht – und wenige Wochen vor ihrer Caravan-Ausstellung im Aargauer Kunsthaus im Januar nächsten Jahres bewegt sich etwas in ihrem Werk, erzählt sie. So ist ihr Interesse an der Geschichte, insbesondere am Mittelalter gewachsen. Zunehmend stört sie sich an den glatten Oberflächen, an denen nichts
haften bleibt, obwohl sie diese oft auch selbst produziert. Sebastian Brants „Narrenschiff“ hat sie gelesen und gerade befasst sie sich mit Wasserspeiern, die bekanntlich zwei Funktionen hatten. Einerseits das Wasser vom Gebäude abzuhalten, andererseits das Böse durch ein möglichst groteskes Aussehen vom Kirchenraum abzuwehren. Schon früher hat sich Matusz für Masken interessiert, nun arbeitet sie an Tonformen, die schlechte Eigenschaften des Menschen verkörpern. Die Kunst von Marie Matusz bleibt doppelbödig.