Norbert Bisky: In der Geschichte erkannt

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10. Oktober 2018
Text: Iris Kretzschmar

Norbert Bisky: Fernwärme.
Stiftung Langmatt, Sidney und Jenny Brown, Römerstr. 30, Baden.
Dienstag bis Freitag 14.00 bis 17.00, Samstag und Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 9. Dezember 2018.

www.langmatt.ch

Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen:
Hatje Cantz, Berlin 2018, 160 S., 25 Euro / ca. 38 Franken.

Das Drama lauert hinter schillernder Farbgebung und malerischer Verführung, es überrascht in grausamster Direktheit. Thanatos, Eros, religiöse Ikonografie und Referenzen an die Kunstgeschichte gehen bei Norbert Bisky (*1970) eine explosive Verbindung ein und hier unterscheidet sich der gebürtige Leipziger wesentlich von seinem Professor Georg Baselitz, bei dem er von 1994 bis 1999 an der Hochschule der Künste in Berlin studierte. Für seine Ausstellung „Fernwärme” in der Villa Langmatt hat Bisky einige neue Arbeiten produziert, ältere gehen im Zusammenhang mit der Familiengeschichte des Industriellenpaars Sidney und Jenny Brown-Sulzer anderweitige Verbindungen ein.

In „Satan’S Braten“ (2008) wird eine Madonna zur Mutter eines jungen Werwolfs umgedeutet. „Iconoclasts“ (2017) zeigt entfesselte Körper in kühner Perspektive, die durch den leeren Raum wirbeln. Sie evozieren gleichermassen barocke Deckenmalerei als auch apokalyptisches Geschehen. Waren frühe Werke von Bisky noch von Leichtigkeit einer heilen Welt geprägt, wandelten sie sich nach der Jahrhundertwende zu existenziellen Formeln. Nachdem der Maler, im indischen Bombay, hautnah einen Anschlag mit unzähligen Toten erlebte, ist der Klang seiner Bilder aggressiver und morbider geworden. Erschreckend ist der Ausdruck von Gewalt, der konträr zur Schönheit seiner Malerei steht, die sowohl das aktuelle Zeitgeschehen mit seiner Bedrohung durch den Terror als auch die Dekadenz einer heutigen Gesellschaft spiegelt.

In Baden konzentriert sich Bisky auf unsichtbare Erschütterungen, auf Dramen die jede Familiengeschichte kennt. Das kürzlich aufgearbeitete Archiv des Industriellenpaars gab ihm die Möglichkeit, sich mit ihrer Vergangenheit zu beschäftigen. Vor allem Familienporträts haben es ihm angetan und Assoziationen zu seiner eigenen Biografie geweckt. Mehrere Fotos sind in einer Vitrine ausgestellt. Zu sehen sind stramme, jugendliche Körper in der Natur, ein Maler in Badehose vor der Staffelei und eine Mutter mit Kindern. Rund 15 neue Bilder hat Bisky auf diesem Hintergrund gemalt. Sie beleben die historischen Räume der Villa, die noch heute vom Aufbruch in eine neue Welt, von der Sehnsucht nach der Fremde und vom Liebesverlangen erzählen. Biskys leuchtende Gemälde kontrastieren dieses ehrwürdige Ambiente und entfachen wahre emotionale Stürme. Sie erinnern daran, dass sich hier Liebe und Leidenschaft zwischen stummen Zeugen von schweren Stilmöbeln und antiken griechischen Vasen abgespielt haben.

Die wohlhabende Familie Brown, Gründer von BBC, heute ABB, zählte zu den ersten Schweizer Sammlern des französischen Impressionismus. Kostbarkeiten von Cézanne, Pissarro und Renoir schmücken die Wände der Jugendstilvilla. Das Licht und die Bewegung dieser Epoche finden ihr Echo in der lockeren, flockigen Malerei von Bisky. Sind es die Badenden von Paul Cezanne, denen der Künstler neues Leben eingehaucht hat?

Mehrere Kleinformate im Salon, wie etwa „Heterotopia“ (2018), zeigen junge Männer und Frauen in luftigen Gefilden. Mit ihrer kraftvollen Ausstrahlung erinnern sie an idealisierte Figuren des sozialistischen Realismus. Sie machen Jugend als einen flüchtigen, gelebten Moment bewusst. Norbert Bisky hat nicht nur die Familiengeschichte der Browns erkundet, er hat sich auch selbst darin erkannt. Seine provokativen Bilder an den alten Seidentapeten, rufen die vergangenen Zeiten wach und schreiben seine eigene Geschichte der emotionalen Stürme darin fort.