Lucie Schenker, Edit Oderbolz und Reto Pulfer: Von den Rändern

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8. Oktober 2018
Text: Simon Baur

Weiche Raster: Lucie Schenker, Edit Oderbolz, Reto Pulfer.
Kunstmuseum Olten, Kirchgasse 8, Olten.
Dienstag bis Freitag 14.00 bis 17.00 Uhr, Donnerstag 14.00 bis 19.00 Uhr, Samstag und Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 11. November 2018.

www.kunstmuseumolten.ch

Jedes dieser Werke wirkt in sich selbst und ist doch auch gegen aussen durchlässig. Es lohnt sich daher sie im Einzelnen, und auch in ihrem Zusammenspiel innerhalb der Ausstellung, jeweils von den Rändern her zu lesen. Alle drei Künstler arbeiten mit Textilien, die sich in ihren Arbeiten explizit zeigen, das Textile ist aber gleichzeitig auch eine Metapher für die komplexen, werkimmanenten Verwebungen und Verstrickungen. In Analogie zur italienischen Arte Povera fällt auch hier immer wieder der Begriff der „armen“ Materialien, wobei damit „alltägliche“ Materialien gemeint sind. Doch müssen in Bezug auf diesen Begriff und auf diese Ausstellung zwei Fragen beantwortet werden: Lässt sich ein Material überhaupt mit Bezeichnungen wie „arm“ und „reich“ qualifizieren und ist es nicht vielmehr die sozial, politisch und kulturell bedingte Optik der jeweiligen Betrachterinnen und Betrachter, die eine solche Qualifizierung auslöst?

Lucie Schenker (*1943) experimentiert in ihren räumlichen Arbeiten mit handelsüblichen Materialien: verzinktem Eisendraht, Acrylglas und Filz, aber auch vorgefundenen Gegenstände wie beispielsweise einer Schweizer Fahne. In ihren Zeichnungen nutzt sie gebräuchliche Mittel, doch auch Garn und Nadel. Da bildet sich aus gelbem Acrylglas ein Knäuel, verformt sich verzinkter Draht zu ornamentalen Arabesken, ein Drahtgewebe zu einer mäandrierenden Oberfläche, Filzbahnen zu Geschirr der Pferdehaltung und ein Eisengeflecht zu einem meterhohen Zylinder.

Bei all dem – wie auch bei den beiden anderen Beteiligten Edit Oderbolz (1966) und Reto Pulfer (1981) – scheint der Begriff des Textilen evident, gleichwohl ist ihm derjenige der Textur vorzuziehen. Beide basieren etymologisch auf demselben Ursprung, in der Textur zeigt sich jedoch stärker ein zeitliches Moment, ähnlich der Schraffur, des Ornaments oder des Vokabulars. Wie wir Texte von den Rändern her lesen, sollten wir dies auch bei den gezeigten Arbeiten tun. Bei der Schweizer Fahne lassen die fragmentierten Aussenlinien den ursprünglichen Zustand als solchen noch erkennen, ihr Inneres ist jedoch in einzelne Teile zerlegt und neu kombiniert wieder zusammengefügt, so dass aus dem ebenmässigen Kreuz ein spannendes vertikal-horizontales Gebilde entsteht. Das Werk von Edit Oderbolz wird geradezu von diesem geometrischen Fadenkreuz bestimmt. Mit dem Textilen verbindet sich in ihm das Verständnis eines dem Metall diametral entgegen gesetzten Elements, und darüber hinaus auch die Möglichkeit Farbe in die Werke einzubringen.

Sind es bei Schenker und Pulfer eher fliessende Übergänge und weiche Raster, so werden die Werke von Edit Oderbolz durch die betont harten Akzente dynamisiert. Glaubt man einen menschlichen Organismus zu erkennen, so mutiert dieser innert Sekunden zu einer Bettstatt oder einer Tischdecke. Das harte Nebeneinander von Farbe und Form bewirkt diesen prekären Moment, der die Arbeiten in Schwingung hält.

Reto Pulfer argumentiert mit dem Begriff des Rhizoms, einer Sonderform der Textur, die sich labyrinthartig durch das Erdreich pflügt und an unvorhersehbaren Stellen auftaucht oder eben verborgen bleibt. Mit Tüchern, Textfragmenten aus dem zur Ausstellung entstandenen Roman „Dschina“ und allerlei Fundstücken baut er eine höhlenartige Passage, aus der in den übrigen Räumen streiflichtartig einzelne Elemente auftauchen, die von den Betrachterinnen und Betrachtern in einen individuellen Zusammenhang zu bringen sind. Pulfer entfaltet eine grossartige Kosmogonie, die wohl nur über das Unbewusste verständlich wird.