Amy Lien & Enzo Camacho: Die Hölle der Gentrifizierung

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18. September 2018
Text: Dietrich Roeschmann

Amy Lien & Enzo Camacho: Shady Mansion.
Kunstverein Freiburg, Dreisamstr. 21, Freiburg.
Dienstag bis Sonntag 12.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch 12.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 28. Oktober 2018.

www.kunstvereinfreiburg.de

Um es vorwegzunehmen: Wenn es einer Ausstellung gelingen kann, eine magische Parallelwelt zu kreieren, die sehr reale und überaus komplexe Zusammenhänge von Ökonomie, Ökologie, Politik und Klassengesellschaft ebenso poetisch wie kritisch reflektiert, dann haben Amy Lien (1987) und Enzo Camacho (1985) im Kunstverein Freiburg ganze Arbeit geleistet. Sechs Wochen verbrachte das Künstler-Duo, das zwischen New York, Manila und Berlin pendelt, für den Aufbau seiner Schau in Freiburg. Das Ergebnis trägt den Titel „Shady Mansion” – im Chinesischen eine Bezeichnung für die Hölle. Der Abgrund, den Lien und Camacho meinen, ist die Dystopie der urbanen Gesellschaft in einer von Gewinnerwartungen aggressiver Investoren gesteuerten Zukunft der Stadtentwicklung. Ausgangspunkt ihrer Installation ist ein Projekt des Architekten Dan Barasch, der in einer stillgelegten Subway-Station in Manhattans Lower East Side den ersten Untergrundpark der Welt bauen will, samt pflanzentauglicher, per Parabolspiegel, Glasfaserkabel und komplexer Streutechnik umgeleiteter Tageslichtführung. Als Pendant zur High Line, dem 2009 eröffneten Park auf einer ehemaligen Hochbahntrasse im Westen der Stadt, dürfte auch die „Lowline”, sollte sie je realisiert werden, erheblich zur Gentrifizierung der angrenzenden Viertel und zur Verdrängung der mehrheitlich einkommensschwachen Bevölkerung beitragen.

Im Freiburger Kunstverein haben Amy Lien und Enzo Camacho ihre eigene Interpretation dieses Parks gebaut und dafür kurzerhand eine neue Decke aus schwarzer Folie eingezogen, die den Saal nun von der darüberliegenden Galerie trennt und komplett abdunkelt. Auch der gedämpfte Raumklang nährt die Illusion, man befinde sich tatsächlich tief unter der Erde. Eine Ahnung von fahlem Licht fällt hier lediglich durch fünf Löcher aus der Decke, in den Raum gespiegelt von mit Silberfolie beklebten Sonnenschirmen, unter denen sich je eine Baumskulptur gut vier Meter in die Höhe reckt. Angelehnt an die Form von Geldbäumen chinesischer Totenkulte bilden die Äste jeder Skulptur vier Rahmen, in denen Lien & Camacho mit gefundenen Materialien wie Draht, Scherben oder Zweigen und Gräsern aus dem Schwarzwald Werbefotos aus Prospekten New Yorker Immobilienentwickler nachstellen oder Interessenskonflikte zwischen Investoren und Bewohnern skizzieren. Eine schwarze Plastiktüte vor in Folie verpacktem Drahtgitter, die hier zwischen den Ästen schwebt, spielt so etwa auf die Verschattung von Solaranlagen in ärmeren Gegenden Chinatowns durch den am Fuß der Brooklyn Bridge in den Himmel ragenden Luxusappartment-Block One Manhattan Square an. Der gerade fertig gestellte 260-Meter-Turm ist eines von fünf milliardenschweren Wohnbauprojekten, das Gentrifizierungsgegner in der Lower East Side derzeit auf die Straße bringt. Liebevoll aus Materialresten nachgebaut, krönt je ein Modell dieser Hochhäuser die Bäume wie ein funkelnder Kristall.

Die eigentliche Energiequelle dieser aufwendig recherchierten, detailreichen und wunderbar verspielten Installation über die Ökonomisierung sozialer Räume befindet sich auf der Galerie. Scheinwerfer mit mehreren Tausend Watt strahlen hier an die mit Spiegelfolie verkleidete Decke und tauchen den niedrigen Raum in gleißendes Licht. Den Abglanz wiederum fangen fünf aus Regenschirmen konstruierte Hohlspiegel auf, die das gebündelte Restlicht durch Pappröhren in die darunter liegende Ausstellungshalle rieseln lassen. Hautnah zu erleben ist hier der technische und energetische Aufwand, der notwendig ist, um einen geschlossenen Raum wie die Lowline allein durch Ablicht zu erhellen. Dass neben den Scheinwerfern in Säcken und Kisten zudem der gesamte Müll lagert, der beim Aufbau der Schau anfiel, verwandelt dieses Setting hinter den Kulissen gewissermaßen in ein begehbares Modell ihrer Ökobilanz. Genau das macht „Shady Mansion” so großartig: Lien und Camacho versuchen nicht, die Komplexität ökonomischer und gesellschaftlicher Zusammenhänge auf eine griffige Formel zu bringen, sondern übersetzen sie in kaum weniger komplexe poetische Szenarien, die darauf zielen, reale politische Prozesse anzustoßen. So ist es kein Zufall, dass ihre Ausstellung Ende September die Bühne für ein Symposium war, das die konkurrierenden Ansprüche von Entwicklung, Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit in der „Green City” Freiburg zum Thema hatte.