What is Black Power? Theaster Gates im Kunstmuseum Basel

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31. Juli 2018
Text: Dietrich Roeschmann

Theaster Gates: Black Madonna.
Kunstmuseum Basel Gegenwart, St. Alban-Rheinweg 60, und Neubau,
St. Alban-Graben 16, Basel.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 21. Oktober 2018.

www.kunstmuseumbasel.ch

Zur Ausstellung ist ein Künstlerbuch erschienen (ca. 56 Franken) sowie das Vinyl-Album „Black Madonna” von Theaster Gates & The Black Monks of Mississippi (32 Franken).

Im Erdgeschoss des Kunstmuseums Basel ist im Neubau derzeit ein Raumschiff aus einer fernen Vergangenheit gelandet, die in unzähligen Retroschleifen bis in die aktuelle Gegenwart reicht. Die sperrige Struktur entpuppt sich als ein gigantisches dunkles Regalmöbel, das rund 2700 gerahmte Schwarz-Weiß-Fotografien von afroamerikanischen Sängerinnen, Schauspielerinnen, Models und anderen Celebrities aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren enthält. Es sind starke Frauen wie Mahalia Jackson, Shirley Caesar, Coretta King oder Etta James, vor der Kamera strahlen sie Souveränität aus, Stolz und Selbstbewusstsein. Die Aufnahmen stammen aus dem Archiv des 1951 gegründeten US-Lifestyle-Magazins „Jet”, neben „Ebony” das meistgelesene Printmedium der Black Community. Herausgeber John H. Johnson galt als einer der einflussreichsten schwarzen US-Unternehmer des 20. Jahrhunderts.

In Basel bietet sich das mit Stoffhandschuhen benutzbare Fotoarchiv nun als eine von mehreren möglichen Fährten in die mythenumrankte Geschichte der Schwarzen Madonna an, die der in Chicago lebende Künstler Theaster Gates (*1973) in einer vierteiligen Ausstellungsreihe inszeniert hat – mit weiteren Kapiteln in Hannover, Mailand und München. „Die Geschichte der Maria ist die Geschichte einer gewöhnlichen Frau, die zu Außergewöhnlichem berufen ist”, sagt Theaster Gates im Interview mit Kurator Søren Grammel in der Begleitbroschüre. In gewisser Weise ist sie damit eine Schlüsselerzählung der afroamerikanischen Popkultur, zusammengesetzt aus Gospel und Geisterglaube, Spiritualismus und Starkult – und politisch aufgeladen von Black-Power-Gruppierungen wie dem radikalen Detroiter „Shrine of the Black Madonna”. Großformatige Prints der Serie „The Madonnas”, die hier neben einer „Madonna mit Kind” des Niederländers Maerten van Heemskerck von 1530 an den Wänden hängen, geben zugleich Einblick in die Konstruktion der Ikonographie der „Black Madonna”: Die vergrößerten Archivabzüge tragen rote Beschnittmarkierungen, Prioritätenvermerke, Anweisungen zur Retusche. Die rassistische Gegenkonstruktion dazu lässt Theaster Gates auf einem Monitor am Boden flimmern. Die Videoarbeit „Black Temple” zeigt Hollywood-Kinderstar Shirley Temple in „The Littlest Rebel” von 1935, wie sie als Sechsjährige mit geschwärztem Gesicht einer Gruppe von Sklaven befiehlt, sich vor ihren Befreiern aus dem Norden zu verstecken, geschnitten mit bizarren Steptanz-Szenen ihres realen Tanzlehrers, des Afroamerikaners Bill Robinson, in Super Slow Motion. Das beständige Kippen des Blicks zwischen Naivität und Boshaftigkeit, Schönheit und Warenförmigkeit, Mythos und politischer, sozialer oder ökonomischer Realität ist charakteristisch für Theaster Gates’ Perspektive auf die Wirklichkeit.

Dazu gehört auch, dass der ausgebildete Keramiker und Stadtplaner Gates die Ausstellung aus dem engen Korsett einer Museumsschau befreit hat. Immer wieder nimmt sie neue Aggregatzustände an und spielt an mehreren Orten, denen wiederum unterschiedliche Funktionen zukommen. Mal werden zusammen mit den Besuchern an einer lärmenden analogen Heidelberger Druckpresse typografische Votivbilder produziert. Dann wieder gilt es, im Abschreiten der „Walking Prayers” – einer Reihe von 2500 in Gold und Leder gravierten Buchtiteln aus der afroamerikanischen Literatur- und Wissenschaftsgeschichte – zur Kontemplation zu finden. Und schließlich mutiert hier der Ausstellungs- zum Probe- und Bühnenraum für Gates’ Jazzformation „The Black Monks of Mississippi”, deren Improvisationen einen mitreißenden Soundtrack liefern zur individuellen und kollektiven Selbstermächtigung gegen den aggressiven kulturellen und intellektuellen Backlash der Post-Obama-Ära.