Charlotte Mumm: Trägerin des Werkstattpreises der Erich Hauser Kunststiftung 2018

Porträt
26. Juli 2021
Text: Dietrich Roeschmann

Charlotte Mumm: so oft so soft.
Kunststiftung Erich Hauser, Werkstatthalle, Saline 36, Rottweil.
Mittwoch 17.00 bis 19.00 Uhr, Samstag und Sonntag 13.00 bis 17.00 Uhr.
29. September bis 28. Oktober 2018.

www.erichhauser.com
www.charlottemumm.com

Zur Ausstellung erscheint ein Künstlerbuch.

Sie sind schon von weitem zu sehen. Scharfkantig, blendend und spitz ragen Erich Hausers Edelstahlskupturen in den Himmel über dem Park der Kunst­stiftung, die das Lebenswerk des 2004 verstorbenen Bildhauers in Rottweil bewahren und durch permanente Konfrontation mit zeitgenössischen Konzepten der Skulptur frisch halten möchte. Ein wichtiges Instrument dafür ist der zweijährlich vergebene Werkstattpreis der Kunststiftung an eine junge Bildhauerin oder einen jungen Bildhauer, ausgewählt von einer Jury aus rund 20 Vorschlägen von wechselnden Kuratorinnen und Kuratoren aus dem deutschsprachigen Raum. Angesichts von Erich Hausers Hang zu unverwüstlichen Hochglanzsolitären, konzipiert für die öffentlichen Räume der spätmodernistischen Stadtlandschaft der Siebziger und Achtziger, überrascht die fast schon programmatische Offenheit des Werkstattpreises für skulpturale Ansätze von Kunstschaffenden wie Kilian Rüthemann, Kalin Lindena, Benjamin Appel oder Anahita Razmi, die das Konzept der für die Ewigkeit geschaffenen Form mit Poesie, Prozesshaftigkeit oder armer Materialität konterkarieren.

Das gilt auch für die aktuelle Werkstattpreisträgerin Charlotte Mumm. 1980 in Georgsmarienhütte geboren, kommt sie eigentlich von der Malerei. In Kassel studierte sie bei Urs Lüthi, dem Extremforscher im Feld des Selbstporträts, und war 2008 dessen Meisterschülerin. Mittlerweile lebt und arbeitet sie in Amsterdam. Schon der Titel ihrer Rottweiler Ausstellung „so oft so soft” lässt erahnen, dass Mumm hier auf eigenwillige Weise den Dialog mit Erich Hausers virilen Formfindungen suchen wird. Es geht ihr dabei um die gezielte Verunsicherung unserer Wahrnehmung, um die Destabilisierung des Verhältnisses von Erwartung und Wirklichkeit. Statt den Kunstraum als Bühne für ihre Arbeiten zu definieren, imaginiert sie ihn hier als Körper, als organische Wucherung frei im Raum schwebender, zungenartiger Ausschnittzeichnungen auf Gummi, die um psychologische und idiosynkratische Effekte des Berührens kreisen, flankiert von hybriden Skulpturen aus Erde, Kartoffeln und kühlen Keramikobjekten. Die minimalistische Strenge dieser röhrenartigen Gebilde ist jedoch alles andere als ungebrochen – der dunkelgrauen Ascheglasur, mit der die Objekte der Werkgruppe „again against” gebrannt wurden, hat Mumm ihre eigenen Exkremente beigemischt. Diese Verschränkung von realem und metaphorischem (Raum-)Körper erzeugt einen seltsam nervösen Schwebezustand zwischen Innen und Außen, Intimität und Öffentlichkeit, Ordnung und Chaos.

Charlotte Mumm erkundet mit ihren Arbeiten schon seit längerem den persönlichen Raum und seine physischen Grenzen. Wo verläuft die Trennungslinie zwischen mir und der Welt – oder wie sie bereits 2011 in Anlehnung an ein Gedicht von Emily Dickinson in einer Ausstellung im chinesischen Chongqing auf Einladung des Goethe-Instsituts fragte: „Hello, I am nobody, who are you?” Der stille Humor ihrer Ar beiten, die nicht selten wie lebensgroße, aus kunsthistorischen, technofuturistischen und popkulturellen Referenzen zusammengeschraubte Avatare daherkommen, speist sich aus Mumms feinem Gespür für das produktive Potenzial von Paradoxien. Nicht die schlechteste Art, mit Erich Hauser ins Gespräch zu kommen.