Fashion Drive: Mehr als nur zweite Haut

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20. Juni 2018
Text: Annette Hoffmann

Fashion Drive – Extreme Mode in der Kunst.
Kunsthaus Zürich, Heimplatz 1, Zürich.
Dienstag, Samstag, Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch bis Freitag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 15. Juli 2018.

www.kunsthaus.ch

Katalog:
Kerber Verlag, Bielefeld 2018, 288 S., 45 Euro | ca. 56 Franken.

Was für Schultern. Auf Peter Lindberghs bekannter Aufnahme „Linda Evangelista, Christy Turlington und Naomi Campbell, Brooklyn“ aus dem Jahr 1990 sehen die drei Models aus, als seien sie direkt aus einem Cartoon auf das nächtliche Pflaster gebeamt worden. Die weiße Krawatte von Linda Evangelista könnte aus Papier sein, die Schultern jedoch sind breiter als von Footballspielern. Der Fashionfotograf hat für die Kombination Koralle, Azur und Nachtblau eigens zum Farbfilm gegriffen. Die drei Frauen imitieren männlich konnotierte Gesten, die Hände sind in den Hosentaschen versenkt, greifen ineinander oder richten die Krawatte. Die Silhouette macht den Mann oder die Frau.

Mode ist die eigentliche Avantgarde. Der fundierte Katalog zur Ausstellung „Fashion Drive. Extreme Mode in der Kunst“ im Kunsthaus Zürich zitiert den Philosophen Georg Simmel mit der Beobachtung, dass Mode eine „Mischung von Zerstören und Aufbauen“ sei, und dass ihr Inhalt seinen Charakter „in dem Vernichten einer früheren Form gewinnt“. Immer versteckt sich in diesem „Modetrieb“ auch ein Funken Emanzipation, die erst in Subkulturen ausgelebt wird, dann in den Mainstream einsickert. Spätestens in der Renaissance gelang die Befreiung vom Klerus und seinen Kleidervorschriften, die Künstler bildeten mit Adel und Bürgertum eine Allianz. Wie sehr ein Mensch mit seiner Kleidung identisch werden konnte, zeigen die frühen Porträts in dieser sehenswerten Ausstellung, die ihr Thema vom späten Mittelalter bis zur Gegenwart konzise verfolgt und es gleichermaßen mit Kunst unterschiedlichster Medien, aber auch mit Kleidung belegt. Wie bei Models war es auch bei den Porträtierten nicht gleichgültig, was sie zur Schau stellten. Diana Cecil, die spätere Komtess von Oxford, trug auf dem Gemälde von William Larkin Anfang des 17. Jahrhunderts eine silberfarbene Robe, deren Rock kunstvoll zerschnitten war. Wer derart den Futterstoff zeigte, musste in einer Zeit, in der Stoffe oft weiterverarbeitet wurden, wohlhabend sein. Die sogenannte Schlitzmode hat ihren Ursprung in der Tracht der Landsknechte – wie man überhaupt den Einfluss der Uniform und des Militärischen auf die Mode nicht unterschätzen sollte. Später wurde sie eingedämmt, indem man die Stoffmenge beschränkte. Im Kunsthaus Zürich wird sie Entwürfen der Londoner Punkikone Vivienne Westwood gegenübergestellt, in denen jeder Schnitt ein Affront gegenüber dem Establishment war. Heute steht Westwood für einen bewussten Umgang mit Kleidung im Sinne von „Reduce, Reuse, Recycle, Rethink“.

Der Spott sämtlicher Karikaturisten entzündet sich über die Jahrhunderte hinweg, aber vor allem im frühen 19. Jahrhundert, an der Silhouette und dem Willen, den Körper zu formen. Mal sind die Hüte wie Schalltrichter geformt, dann der Kragen aufgestellt oder der Hintern ausgepolstert, dann gibt eine schmale Taille die Träger der Lächerlichkeit preis. Mode wird da schnell, fehlt es an der richtigen Haltung, zum Charakterfehler. 1862 malt Édouard Manet die Geliebte Baudelaires Jeanne Duval, die in einem weißen Reifrock versinkt. Manet stellt einen Körper dar, der mit sich selbst uneins zu sein scheint, die Hand, die zur Sofalehne greift, könnte einem Mann gehören; der Fuß, der aus dem Kleid ragt, wirkt weniger kokett als grotesk. 250 Jahre später greift John Baldessari die untere Bildhälfte in seiner Serie „Double Bill“ auf. Ein Tanker mit drei mächtigen Kaminen erhebt sich nun über diesem monströsen Rock, der wie ein Eisberg aussieht, an dem das Schiff zugrunde gehen könnte. Baldessari macht sich Methoden des Kombinierens und Zitierens zunutze, die in der Mode gang und gäbe sind. Er kombiniert, was nicht unbedingt passt und kreiert dabei etwas Neues. In der Gegenwart ist die Kommunikationsform Mode freier und demokratischer geworden. Sie schafft Identitäten, die sich vom Gros der Gesellschaft abheben. Manchmal auch mit massenhaft produzierten Textilien. Denn die Mode ist längst Ausdruck und Symptom unseres kapitalistischen Systems geworden. Als Teil der Popkultur ist sie affirmativ und subversiv zugleich.