Raphaela Vogel: Ultranackt.
Kunsthalle Basel, Steinenberg 7, Basel. Dienstag bis Freitag 11.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag bis 20.00 Uhr, Samstag und Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 12. August 2018.
Raphaela Vogel: Gipsy King Kong.
Kunstpalais Erlangen, Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch 10.00 bis 20.00 Uhr.
30. Juni bis 9. September 2018.
Ein Holzpferd steht aufgebäumt im ersten Saal der Kunsthalle Basel. Aus einem Loch im Schädel schießen rote Kabel, die an mehreren Haken von der Decke tropfen wie Blut. An ihren Enden baumeln gut ein Dutzend Kugellautsprecher, verbunden mit einem Soundsystem, das sie mit dem Klang zirpender Zikaden füttert, halbstündlich unterbrochen vom ohrenbetäubenden Chor singender BVB-Fans. Wie vom Himmel gestürzt liegt daneben ein monströses Geschoss aus Aluminiumträgern, wie sie bei Rockkonzerten für den Bühnenaufbau verwendet werden. Es ist eine brachiale, lautstarke Inszenierung, mit der die deutsche Künstlerin Raphaela Vogel ihre Basler Soloschau eröffnet – und es wird nicht der einzige Auftritt der 29-Jährigen in diesem Sommer bleiben: Ende Juni folgt im Kunstpalais Erlangen ein Überblick über ihre frühen Arbeiten, die zum Teil noch während ihres Studiums an der Akademie in Nürnberg entstanden.
Schon damals experimentierte Vogel mit den Möglichkeiten, sich ein bewegtes Bild von der Welt – und von sich selbst in ihrem Zentrum – zu machen. Dafür warf sie laufende Kameras in die Höhe, ließ sie Wasserrutschen hinunter gleiten oder montierte sie an Pferdehufe. Seit geraumer Zeit bestückt Vogel auch programmierte Drohnen mit Kameras, die ihr auf Schritt und Tritt folgen. Was sie dabei interessiert, ist die Frage nach der maximalen Kontrolle über die Repräsentation ihres Körpers im Bild und über das Verhältnis von Exhibitionismus und Voyeurismus des Kamerablicks. Bis heute ist Raphaela Vogel sowohl einzige Protagonistin ihrer Videoarbeiten als auch Kamerafrau, Cutterin, Kostümbildnerin, Tontechnikerin und Musikerin in Personalunion. Der ständige Rollenwechsel, der ihr den multiperspektivischen Blick auf sich selbst ermöglicht, verleiht ihren Arbeiten eine Atemlosigkeit, die sich in schwindelerregenden Kamerafahrten – unterfüttert von Electro-Beats oder peitschenden Heavy-Metal-Riffs – geradezu physisch auf den Betrachter überträgt. Forciert wird dieser Eindruck vibrierender Unruhe durch die bemerkenswert virile Präsenz der Settings, in denen Vogel ihre Videos präsentiert. Als Display für die Wasserrutschen-Videominiatur „Uterusland” etwa wuchtete die Künstlerin in Basel eigens ein Vier-Personen-Plastikurinal an die Wand, das nun als bizarre Duchamp-Referenz wie ein futuristischer Phallus in den Raum ragt – die Screens sind in die Löcher eingelassen, die im wirklichen Leben den Urin von Bauarbeitern oder Rock-Festival-Besuchern aufnehmen.
Auch ansonsten bedient sich Vogel für ihre Displays gerne bei Symbolen männlicher Potenz, die sie allerdings konsequent einer Überarbeitung ins Hinfällige, Überspannte oder Schwergewichtige unterzieht. Die surreale Genesis-Fantasie „Fruit of the Hoop” – mit nackter Eva und Baum der Erkenntnis, aber ohne Adam, im französischen Naturschutzgebiet gedreht – flackert so zwischen drei windschief erigierten Fragmenten einer Kopie von Brancusis berühmter „endless column”. Und während im letzten Saal Vogels Stimme mit aller gebotenen Schnoddrigkeit Charlie Richs Crooner-Hymne „The Most Beautiful Girl” in dreckige Schmachtfetzen zerlegt, projiziert ein in vier tonnenschwere Keramik-Isolatoren eingespannter Video-Beamer eine hart an Judas Priest-Gitarrensoli entlang geschnittene Collage aus griechischer Inselidylle, kaleidoskopartig explodierender Haarpracht und pseudo-antikem Mythentrash in den Raum. Als am Ende eine erschöpfte Schöne an den Strand kriecht – es ist Vogel selbst, in der Rolle des großmäuligen Marsyas, der Apollo zum Doppelflötenwettkampf herausforderte und so bitter scheiterte, dass ihm vom Sieger die Haut abgezogen wurde –, drehen sich über ihr wie Krebsscheren die Rotorblätter der Kameradrohne, die sie zuvor auf sich angesetzt hatte. Nicht bedrohlich, sondern schützend schieben sie sich ins Bild und vor die Künstlerin, die – so der Titel der Schau – „ultranackt“ bekleidet ist mit einem Ganzkörperoverall in hautfreiem Muskelfaser-Look. Man kann das postdigitalen Punk nennen. Vor allem aber ganz großes Kino.