Sean Scully: Linie im Streifenbild

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21. Juni 2018
Text: Manuel van der Veen

Sean Scully: Vita Duplex.
Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Hans-Thoma-Str. 2-6, Karlsruhe.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 5. August 2018.

www.kunsthalle-karlsruhe.de

Katalog:
Hatje Cantz, Berlin 2018, 240 S., 38 Euro / ca. 41.90 Franken.

Man könnte angesichts aufregend-aufwendiger Attraktionen in der zeitgenössischen Kunstszene Eintönigkeit vermuten, wenn es um die Mengen von Streifenbildern geht, die mit dem Namen Sean Scully (*1945) verbunden sind. Doch die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe zeigt in der Ausstellung „Sean Scully, Vita Duplex“, wie mit einem binären Vokabular aus Vertikalen und Horizontalen poetische Kompositionen entstehen, für die man gar nicht genügend Adjektive finden kann. Um die 130 Werke sind jetzt in Karlsruhe zu sehen von einem Künstler, der wie wenige die europäische Tradition mit der amerikanischen Malerei verband. Scully, der in Dublin geboren wurde, wuchs in London auf und emigrierte 1970 in die USA, 1983 nahm er dann die amerikanische Staatsbürgerschaft an.

Der aufregenden Abwechslung setzt die Ausstellung die schillernde Frucht einer ausdauernden, lebenslangen und konzentrierten Arbeit entgegen. Anhand von ausgesuchten Skizzen, Fotografien und einem Streifzug durch die unterschiedlichsten Schaffensphasen werden die Prozesse hinter seiner Malerei einsichtig. Handschriftliche Notizen und Zitate des Künstlers, der eine präzise Sprache für Malerei artikuliert, bieten zusammen mit den Begleittexten einen zweifachen Zugang zur Farbe. Sean Scully erfüllt die im Titel angesprochene Doppelrolle auf mehreren Ebenen – er ist selbst unter den Malern eine eigentümliche Person. Zwischen Minimalismus und Expressionismus spricht er von Emotionen als Aufgabe der Abstraktion. Er schichtet seine Raster irgendwo zwischen Piet Mondrian und Mark Rothko, Giorgio Morandi und Agnes Martin. Letztendlich erlaubt ihm seine Erfahrung sowohl Narration als auch Figurationen im Pinselzug zu materialisieren. Dieser bewegte den amerikanischen Kunstkritiker Arthur C. Danto, welcher der Sinnlichkeit eine triftige Absage erteilte, in seinem Essayband über den befreundeten Scully von einem Dialog mit der Transzendenz zu sprechen. Scully, sagt er, transfiguriere die skulpturalen Wände in pures Licht. Diese spiritualistische Bezeichnung umschreibt Leinwände, auf denen die Farbpigmente so aneinander und aufeinander geschichtet sind, dass sie vibrieren und derart frisch glänzen, als wären sie gerade erst gemalt worden.
Die Frische konfligiert mit der Zeit, von der die Malereien zeugen. Flirrend scheint am Rand des Pinselzuges die darunter liegende Farbe auf. Wie Planken, welche den vier Jahreszeiten ausgesetzt waren, altert die Tonart von Gelb zu Rot. Eine Hommage an die Reife, wenn Scully 2006 schreibt, dass er das Objekt der Idee vorziehe und als Begründung den Verfall angibt.

In einem eigenen Raum werden Fotografien von Scully gezeigt, die sein Denken einsichtig machen, aber nicht als direkte Vorlagen für seine Werke dienen. Von Wolkenschichtungen über Fensterfassaden, bis hin zu Zäunen und Mauern, die auch zufällige Steinschichtungen sein könnten. Das Volumen und die Gravitas, der Dialog von Architektur und Natur hallen darin wieder. Ganz hinten ist auch ein Video projiziert, in welchem man diesem muskulösen Zwei-Meter-Maler über die Schulter blicken kann, wie er mit feinfühligen Bewegungen und in zärtlichen Posen seine Bilder inspiziert.

Dieser Gegensatz findet sich auch zwischen der sensiblen Farbe und den objekthaften Gemälden Letzteres erreicht er durch das Implantieren kleinerer Bildblöcke in Größe – seine Insets. Dadurch entsteht eine faktische Linie, die mit den gemalten korrespondiert. Reliefhaft reihen sich dicke Rahmen an dünne und erzählen im Größen- und Breitenverhältnis eine eigene Geschichte. Unterschiedliche Abstände und Linien betiteln jede Separation auch als eine Öffnung. Die geschlossene Oberfläche, die moderne Flatness zeigt so zwischen Objekt und Farbe ihre Entstehung und ihr Erbarmen.