Marcel Scheible, Strewn with cutting flints

Review > Freiburg > Kunsthaus L6
4. April 2017
Text: Dietrich Roeschmann

Marcel Scheible, Strewn with cutting flints
Kunsthaus L6, Lameystr. 6, Freiburg.
Donnerstag bis Freitag 16.00 bis 19.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 30. April 2017.

Klack! Brrzzz … zzzz … In träger Kreisbewegung schwingt eine Glühbirne an einem langen Kabel über dem Fliesenboden eines Treppenhauses. Außer dem Surren der Zeitschaltuhr ist nichts zu hören. Dann geht das Licht aus, der Ton verstummt und die Leere füllt sich mit einer Stille, die in den Ohren tanzt wie Staub in der Sonne. Zwölf Minuten dauert das Video, das der Basler Künstler Marcel Scheible in seiner Soloschau im Freiburger Kunsthaus L6 zeigt, und es ist kein Fehler, sich diese Zeit zu nehmen.

Tatsächlich entwickelt das Ein und Aus des Treppenhauslichts eine atmosphärische Kraft, die Scheibles Ausstellung bis in den letzten Winkel durchdringt und dabei Räume erschließt, die sich eher als flüchtige Zustände beschreiben ließen, denn als architektonisch definierte Situationen. Schon im Entrée wartet so ein Zustand, am Boden aufgeschichtet aus 250 DIN A2-Plakaten zum Mitnehmen, auf denen ein ramponierter Fußweg von oben zu sehen ist. Eine der Betonplatten ist zerbrochen, das Loch, das im Weg klafft, mit Neonfarbe markiert. Die Tiefe der Stolperfalle entspricht gefühlt der Höhe des druckfrischen Papierstapels, was die Fotografie überraschend in den Raum erweitert. Je mehr Besucher ein Plakat mitnehmen, desto stärker zieht sich dieser Illusionsraum wieder in die Fläche zurück. Derartige  Gratwanderungen zwischen den Dimensionen, meist ausgelöst durch Medienwechsel, sind typisch für das Werk des 42-Jährigen. Lange Zeit etwa arrangierte Scheible Settings aus Möbeln und Hausrat so vor der Kamera, dass sie in ihrer strengen Symmetrie wie analoge Rekonstruktionen von Photoshop-Collagen wirkten. In Freiburg präsentiert er nun Tiefdruckgrafiken, für die er als Druckstock die zersprungenen Displays defekter Handys nutzte, und erkundet in einer achtteiligen Fotoserie das bildnerische Potenzial der Materialeigenschaften von Rettungsdecken. Zwischen der wärmenden Gold- und der kühlenden Silber-Seite faltet sich hier in schillernden Knitter-Topografien ein Imaginationsraum auf, in dem sich Warhols Factory ebenso spiegelt wie die mediale Bildwelt von Armut und Migration. Das heimliche Zentrum der Schau bildet aber ein stiller Dialog zwischen drei großformatigen Fotografien, die das Thema Raum denkbar unterschiedlich reflektieren. Neben der Trompe-l’œil-artigen Aufnahme einer Stellwand auf Stellwand und dem überlebensgroß reproduzierten Schnappschuss einer Szene, in der sich ein Hund und eine Taube dies- und jenseits eines Zaunes gegenseitig belauern, fesselt vor allem die Fotografie „Securite Sociale“ mit verwaistem Kinderkarussell vor verrammelter Fassade eines modernistischen Verwaltungsbaus, die gut als Hommage an Jeff Wall durchgehen könnte. Die einzigen Öffnungen, die aus dieser melancholischen Enge herausführen, sind die Sehnsuchtslandschaften auf den Veduten, die das Kinderkarussell zieren.