Malerei aus dem Club: die Retrospektive des US-Malers Patrick Angus

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10. Januar 2018
Text: Dietrich Roeschmann

Kunstmuseum Stuttgart, Kleiner Schlossplatz 1, Stuttgart.
Dienstag bis Soonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch 10.00 bis 21.00 Uhr.
Bis 8. April 2018.

www.kunstmuseum-stuttgart.de

„Schon mal über eine zweite Karriere nachgedacht?”, fragt der Galerist den Künstler, der auf dem Boden gerade seine Gemälde zusammenrollt. „Vielleicht einfach etwas ganz anderes?” Ein freundlich gemeinter Ratschlag als vernichtender Kommentar. Die Präsentation ist vorbei. Patrick Angus war mit zwei Freunden gekommen, in der Hoffnung, einen Händler für seine Malerei zu finden. Doch der schüttelte nur den Kopf und lachte, Leinwand um Leinwand, die Angus ausrollte. „Wow, das ist ziemlich dreckig!” Absolut unverkäuflich, keine Chance.

Wenige Monate, nachdem Jonathan Nossiter diese Szene für seinen Dokumentarfilm „The Resident Alien” festgehalten hatte, starb Angus im Mai 1992 an den Folgen von AIDS. Er wurde 38 Jahre alt.

Einige der Bilder, die der Maler damals vor Nossiters Kamera ausrollte, hängen derzeit im Kunstmuseum Stuttgart in Dämmerlicht auf purpurfarbener Wand. Anlass ist die erste und bislang größte Soloschau des früh verstorbenen Amerikaners in Europa – die sehenswerte Wiederentdeckung eines zu Lebzeiten kaum bekannten Malers. Seine Bilder zeigen Szenen aus New Yorker Schwulenbars der Achtziger, aus Pornokinos und Saunaclubs, Striplokalen und Stricherläden. Junge Männer posieren hier unter bunten Scheinwerferkegeln, oft mit nichts als weißen Tennissocken bekleidet. Nackte Körper räkeln sich auf schummrigen Bühnen, extrovertiert, sportlich oder in gespielter Selbstverzückung. Gäste tauschen verstohlen Blicke, schieben sich an schweigenden Typen vorbei, die aufreizend in den Fluren vor den Backrooms herumlungern, bereit zum anonymen Sex mit Gleichgesinnten. Die Titel der Gemälde lesen sich wie die Playlist einer 80s-Gay-Party: „Slave To The Rhythm” (Grace Jones), „My Heart Goes Bang Bang Bang” (Dead or Alive), „Human” (Human League), „I Get Weak” (Belinda Carlisle).

Patrick Angus, der am kalifornischen Santa Barbara Art Institute Malerei studiert hatte, kam 1980 erstmals nach New York, zur großen Picasso-Retrospektive im Museum of Modern Art, wo er einen Job als Aufsicht fand. Neben Picasso, Matisse und den Malern des Bay Area Figurative Movements inspirierten den jungen Kalifornier vor allem die Bilder von David Hockney, der später sogar sechs seiner Gemälde kaufte. Noch bevor Angus von der Westküste nach New York umzog, entstand nach Vorbild von Hockneys „72 Drawings” die tagebuchartige Serie „Los Angeles Drawings” mit Szenen aus dem schwulen Alltag der kalifornischen Metropole. Die Motive dieses Zyklus – beiläufige Straßen- und Strandszenen, bevölkert von muskulösen Beaus, jungen Skatern oder Prostituierten – bilden den Grundstein für das zentrale Sujet seiner späteren Bilder aus dem New Yorker Nachtleben, darunter das komplex verschachtelte Großformat „Hanky Panky” mit Blick in ein rege genutztes Schwulenkino, dezent erleuchtet vom Widerschein eines Pornofilmstills mit explizitem Sex am Pool in typischem Hockney-Türkisblau.

Angus selbst bewegte sich mal als Gast, mal als Jobber durch diese Szene – etwa in den berüchtigten „Club Baths”. Was ihn als Maler interessierte, war die Frage, wie sich Begehren und Körperlichkeit in eine Bildsprache übersetzen ließen, die abseits der gängigen Sex-Klischees von glamouröser Kälte, blinder Ekstase oder pornografischer Härte intime Räume öffnen konnte für essentielle Regungen wie Liebe, Einsamkeit, Sehnsucht und Glück.

Eine große Empathie für sein Gegenüber lassen auch die Porträts von Freunden und Verwandten erkennen. Unverstellt posieren sie oft in lichtdurchfluteten Interieurs und schaffen durch ihre schiere Anwesenheit eine zwingende Atmosphäre der Geborgenheit.

Dass Angus’ Bilder 25 Jahre nach seinem Tod ausgerechnet in Stuttgart erstmals im Überblick zu sehen sind, geht auf das Engagement des Stuttgarter Galeristen Thomas Fuchs zurück. Der hatte Angus’ Gemälde erstmals in einem Biopic über dessen Förderer Quentin Crisp von 2009 gesehen und begann zu recherchieren. Mit Erfolg. Er machte nicht nur seinen New Yorker Nachlassverwalter Douglas Blair Turnbaugh ausfindig, sondern auch seine Mutter Betty, in deren Besitz sich die meisten von Angus’ Porträts, Landschaften und Interieurs befanden. Heute vertritt Fuchs den Nachlass des Malers. Bemerkenswert: Rund die Hälfte der 200 im Kunstmuseum Stuttgart ausgestellten Arbeiten von Patrick Angus dürfte laut der Bildnachweise auf den Saalschildern noch im Handel sein.