Marlow Moss, A Forgotten Maverick: Wer hat Angst vor Weiß, Gelb, Blau und Rot?

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30. März 2017
Text: Tiziana Bonetti

Marlow Moss: A Forgotten Maverick.
Haus Konstruktiv, Selnaustr. 25, Zürich.
Dienstag, Donnerstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr, Mittwoch 11.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 7. Mai 2017.
www.hauskonstruktiv.ch

1933 soll Max Bill, als die Künstlerin Marlow Moss (1889-1958) anlässlich seiner ersten Ausstellung in Paris ihre Bilder ablieferte und auspackte, gesagt haben, er freue sich über das Eintreffen der schönen Arbeiten von Mondrian. Diese Anekdote steht exemplarisch für das Schicksal der in London in eine jüdische Kaufmannsfamilie hineingeborene Künstlerin „Marjorie Jewel Moss“; 1920 änderte sie ihren Vornamen in „Marlow“ um und trug fortan einen Kurzhaarschnitt sowie Reiterkostüme und lebte später mit einer Frau zusammen. Wie viele andere Künstlerinnen stand auch sie als Frau im Schatten ihrer Kollegen und wurde vom männlich dominierten Kanon der Kunstgeschichte rigoros ausgeklammert. Gerade die von geometrischen Formen durchdrungene konstruktiv-konkreten Kunst, in der Moss’ Oeuvre zu verorten ist, galt wegen ihrer Konnotation mit Logik, Mathematik und Wissenschaft als genuin männliche Domäne.

Mit der von Lucy Howarth und Sabine Schaschl kuratierten Ausstellung „Marlow Moss – A Fortgotten Maverick“ im Haus Konstruktiv wird dem Manko, der vergessenen Künstlerin zu einer eigenen Stimme zu verhelfen, zum ersten Mal seit 1994 durch eine umfassende Retrospektive Abhilfe geleistet. Den Auftakt zur Aufarbeitung des Oeuvres bilden jedoch Portraitfotografien im Eingangsbereich, wodurch Moss endlich ein Gesicht bekommt – wohlgemerkt dasjenige eines rauchenden Gentlemans mit streng frisiertem Haar. 

In „White, Red and Grey“ (1935) überkreuzen sich schmale vertikale und horizontale Linien in roter Farbe auf einem weissgrundierten Quadrat. Andersfarbig ist einzig eine graue Linie, die in der Waagerechte verlaufend eine der drei Senkrechten berührt, ohne sie in einem Punkt zu schneiden. Aufgrund der Drehung um 45 Grad zeigen die Kanten des Leinwandgevierts in alle Himmelsrichtungen. Moss’ Komposition dieser Malerei strahlt Harmonie und Ruhe aus, ohne einem symmetrischen Aufbau verpflichtet zu sein. Diese Wirkung ist nicht dem Zufall überlassen, sondern ist Moss’ Auseinandersetzung mit mathematischen Gesetzen und der pythagoreischen Lehre geschuldet, denen ihre Kompositionen Folge leisten. Dies belegen ausgestellte Vorstudien auf Papier, wie „White, Black, Yellow and Blue“ (1954) oder „White, Yellow, Blue and Red“ (1956-1957), in denen die geometrischen Elemente durch in Bleistift notierte Brüche in Verhältnissen zueinander gesetzt sind.

Solche Titel lassen bereits vermuten, dass die Palette der Künstlerin auf den Primärfarben Blau, Rot und Gelb beruht. Neben diesem Farbsystem ist auch das abstrakte Formvokabular, bestehend aus gerasterten Linien und geometrischen Strukturen dafür verantwortlich, dass Moss’ Arbeiten auf den ersten Blick schwer von Malereien Mondrians zu unterscheiden sind. Die Ähnlichkeit im künstlerischen Ausdruck gründet nicht zuletzt darin, dass sich die beiden Künstler, die eine lebenslange Freundschaft verband, über ihre Arbeiten rege austauschten. So gaben Mondrians Werke Moss 1929 Anstoss zur Produktion eigener Malereien in neoplastizistischem Stil. Dass Mondrian auch Moss zitiert hat, bezeugt die Anwendung von Doppellinien in Arbeiten wie „Komposition mit Doppellinie und Blau“ (1935). Die auf Moss zurückgehende Urheberschaft dieser Innovation hat Mondrian jedoch für sich selbst in Anspruch genommen.

Neben Malereien und Vorstudien bietet die Retrospektive in Zürich aber auch Einblicke in skulpturale Arbeiten von Moss. Darunter das aus Dreiecken zusammengesetzte Exponat „Untitled“ (ca. 1950) aus Messing auf Holz, das durch schlichte Eleganz und verspielte Kombinatorik überzeugt. Die kleine Skulptur auf dem marmornen Sockel bestätigt damit den positiven Eindruck, den die Retrospektive en gros zurücklässt.