Die Ordnung der Dinge.
The Walther Collection
Reichenauer Str. 21, Neu-Ulm.
Donnerstag bis Sonntag 14.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 20. November 2016.
Die Straße windet sich durch den kleinen Ort, vorbei an Schule, Kirche und Schreibwarenladen, der gerade schließt. Mittagszeit in Burlafingen. Links ab, bei Metzger Henke, sitzen ein paar Bauarbeiter unter den Sonnenschirmen und essen Schnitzel. Nebenan hat ein Malermeister seinen Gartenzaun aus überdimensionalen Buntstiften zusammengeschraubt. Folgt man dem Verlauf der Seitenstraße mündet das Trottoir irgendwann in einen Feldweg, der sich hinter den akkurat gepflegten Gärten der Einfamilienhäuser in einem Maisfeld verliert. Hier vor den Toren Neu-Ulms, am Ende der Reichenauer Straße, wo das Suburbane und das Ländliche so jäh aufeinander treffen, ragt ein eleganter, weißer Betonkubus in den Himmel. Die sogenannte White Box, 2010 gebaut, ist das Schaufenster der Walther Collection, die mittlerweile als eine der bedeutendsten Privatsammlungen afrikanischer Fotografie gilt. Gegründet wurde sie vor 20 Jahren von Artur Walther im ehemaligen Haus seiner Eltern, im Black House, gleich nebenan.
Der gebürtige Burlafinger hatte seine Heimatstadt mit Anfang 20 verlassen und war Mitte der Siebziger in die USA gezogen. Er studierte an der Havard Business School und machte schließlich in New York Karriere als Partner der Investmentbank Goldman Sachs. 1994, mit Mitte vierzig, hatte Walther genug vom hektischen Broker-Alltag. Er kehrte der Wall Street den Rücken, lernte Stephen Shore und Hilla Becher kennen, die beide auf sehr unterschiedliche Weise die konzeptuelle Fotografie seit den Siebzigern prägten, und begann schließlich fotografische Arbeiten zu sammeln. Seit vielen Jahren steht er dabei in engem Austausch mit Okwui Enwezor, der 2002 als Leiter der documenta 11 erstmals umfassend die Globalisierung des Kunstschaffens thematisierte und seit 2011 Direktor des Haus der Kunst in München ist. Was Artur Walther interessiert, ist die Frage, wie wir uns mit den Mitteln der Fotografie ein Bild von der Welt machen – und auf welche Weise fotografische Ansätze in Kunst, Wissenschaft und Alltag unsere visuelle Kultur prägen. Nicht zufällig gilt das Hauptaugenmerk seiner Sammlung der seriellen Fotografie, der sich in Burlafingen derzeit auch die sehenswerte Ausstellung „Die Ordnung der Dinge” widmet. Kuratiert wurde die Schau von Brian Wallis vom New Yorker International Center of Photography. In den Beständen der Walther Collection suchte er vor allem nach künstlerischen Positionen, die neben der vergleichenden, klassifizierenden Perspektive der seriellen Fotografie auch einen intimen Blick auf ihren Gegenstand erlauben. Im Zentrum stehen dabei als historische Referenzwerke August Sanders legendäre Serie „Antlitz der Zeit”, für die er 1929 sechzig Menschen unterschiedlicher Berufsgruppen porträtierte, Karl Blossfeldts vielteilige Pflanzenstudie „Urformen der Kunst” (1928) sowie die „Kies- und Schotterwerke” (1988) von Bernd und Hilla Becher. Flankiert werden diese Pionierarbeiten über Wiederholung und Differenz von J. D. Okhai Ojeikeres großartiger Bild-Enzyklopädie „Hairstyles”, für die der 2014 verstorbene Fotograf komplizierteste Flechtfrisuren nigerianischer Frauen mit den Mitteln der Architekturfotografie festhielt, sowie von einer berührenden Serie der Südfafrikanerin Zanele Muholi, deren Schwarz-Weiß-Porträts vom Mut und Selbstbewusstsein lesbischer Frauen und Transsexueller erzählen, in einer aggressiv heteronormativen Gesellschaft offen die eigenen Geschlechtsidentität zu leben. Nicht weniger eindringlich kommen die großformatigen Selbstporträts des Kameruners Samuel Fosso daher, der für seine ikonografische Serie „African Spirits” als Martin Luther King, Patrice Lumumba, Angela Davis und weitere Role Models des schwarzen Befreiungskampfes der Sechziger posierte. Martina Bacigalupo hingegen arbeitete für „Gulu Real Art Studio” mit den Fotoabfällen eines Passbildstudios. Ihre Serie zeigt Menschen, die in farbenprächtigen Kleidern vor einer roten Wand sitzen. Weil die Porträts der Fotografierten jedoch für offizielle Dokumente benötigt wurden, fehlen die Gesichter. Bacigalupo gelingt so eine wunderbar intime Studie über die alltägliche, aber durchaus feierlich und mit scheuem Respekt zelebrierte Ordnung der Dinge abseits des Bildausschnitts.