Juliette Blightman, Extimicy: Gießen ist wie Kuratieren

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20. Oktober 2016
Text: Helen Lagger

Juliette Blightman, Extimacy.
Kunsthalle Bern, Helvetiaplatz 1, Bern.
Dienstag bis Freitag 11.00 bis 18.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 13. November 2016.
www.kunsthalle-bern.ch

Mit Bier gefüllte Harassen stützen grossformatige, im Raum stehende Bilder, auf denen – oh, Schreck! – riesige Penisse prangen. Juliette Blightmans Ausstellung in der Kunsthalle Bern trägt den Titel „Extimacy”, womit natürlich auch „Intimacy”, sprich Intimität, mitgemeint ist. Die 37-jährige Engländerin lebt in Berlin. Wo sonst? Hier feiert, liebt und kreiert eine Boheme, deren Lebensstil längst Mainstream ist. Juliette Blightman sampelt via Film, Fotografie und Malerei ihren Alltag als Mutter einer siebenjährigen Tochter, die auch mal in einem Schwulenclub nach neuen Bildern sucht. Dabei mischt sie ein bisschen Feminismus und Philosophie (Gertrude Stein) mit Instagram- und Youtube-Ästhetik.

Ist das relevant? Bedingt. Städter, die im Westen geboren und zwischen 20 und 40 Jahre alt sind, dürften sich wiedererkennen in diesem Werk. Etwa in den tagebuchartigen Zeichnungen, die mal eine Küche voller leer stehender Flaschen (es wurde gefeiert), mal eine Liebesszene oder eine Toilette – angeblich als Sinnbild für „brex shit” zu verstehen – abbilden. Manche dieser Skizzen hat die Künstlerin in Malerei umgesetzt. Die Malweise ist bewusst flüchtig und ungelenk. Blightman dokumentiert nicht, sie erinnert sich. „Bad Painting” nennt man diesen Stil in den USA. Der Begriff stammt aus den 1970er-Jahren und bezeichnet eine neoexpressive Malweise, die sich um Virtuosität foutiert. Mittlerweile hat der viel zitierte Look von seiner Sprengkraft verloren, ist austauschbar und zur reinen Pose geworden.

Blightmans Stärke liegt anderswo. Zu faszinieren vermag ihr Umgang mit den Räumen der Kunsthalle, in denen sie ihre erzeichneten Erkenntnisse arrangiert und inszeniert. Oder gar Objekte und Videoarbeiten von Künstlerkollegen integriert und präsentiert. Im Untergeschoss der Kunsthalle tritt man auf einen flauschigen grünen Teppich, der damit spielt, dass dieser Saal von einem Garten umgeben ist. Pflanzen, wie sie manches Wohnzimmer zieren, stellt die Künstlerin in den Raum, als wären es Skulpturen. Eine simple Geste, durch die der jeweilige Raum zur lebendigen Installation wird. Kunsthallen-Direktorin Valérie Knoll interpretiert die Bepflanzung als Testlauf, bei dem die Künstlerin sehen wolle, ob die jeweiligen Kuratoren sich um ihre Kunst auch kümmerten. Mit anderen Worten: ob die Pflanzen gegossen werden.

In einem weiteren Raum wird die Erfahrung des „White Cube” auf die Spitze getrieben. Ein surrender Ventilator sorgt für eine fast schon unangenehme Kühle, die hohen Fenster sind mit weissen, luftigen Vorhängen gänzlich abgedeckt. In dieser Leere hängt eine zusammengewürfelte Bildergruppe bestehend aus Malerei, Fotografie und Collage. Freundinnen und Freunde, die fröhlich in ihre Smartphones starren, die Tochter der Künstlerin, als Skulptur posierend, oder Küchengeräte, bei denen eines an einen Phallus erinnert, sind Blightmans Motive.

Es sind die feinen Interventionen und Gesten, nicht der abgeflaute Rock ’n’ Roll, die „Extimacy” trotz Abstrichen zu einer sehenswerten Schau machen.