Der figurative Pollock: Anamnese des Action Paintings

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18. Januar 2016
Text: Yvonne Ziegler

Der figurative Pollock.
Kunstmuseum Basel, Neubau, St. Alban-Graben 20, Basel.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis20.00 Uhr.
Bis 22. Januar 2017.
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen:Prestel Verlag, München 2016, 248 S., 49,95 Euro | 65 Franken.
www.kunstmuseumbasel.ch

Der amerikanische Künstler Jackson Pollock (1912-1956) folgte Exzessen seines Inneren. Dies erhält durch eine gut recherchierte Ausstellung im Kunstmuseum Basel, die den Schwerpunkt auf das figurative Werk Pollocks legt, eine vertiefte Interpretation und Differenzierung. Die wohl bekannten „Drip Paintings“ werden ausgeklammert, um die Kontinuität des Figürlichen und Repräsentativen aufzuzeigen. Bereits seit Längerem weiß man, dass sich Figuren unter den getropften Farbschlieren der „Drip Paintings“ befinden, jener Werkgruppe durch die Pollock Weltruhm erlangt, die von Kritikern gefeiert wurde und deren Entstehung auf dem Atelierboden Hans Namuth 1950 filmte. In welchem Bezug diese zu den Werkgruppen danach und davor stehen und welche Motive und Bildfragen Pollock beschäftigten, wird anhand von etwa 100 Gemälden und Zeichnungen anschaulich.

Pollock studierte bei Thomas Hart Benton in New York, einem Vertreter des Regionalismus, der eine amerikanische Malerei zu erschaffen suchte. Pollocks frühe Landschaftsgemälde sind mit seiner Malerei verwandt. Gleichzeitig orientieren sich seine frühen Figurendarstellungen an den Wandgemälden der mexikanischen Muralisten. Insbesondere José Clemente Orozco beeindruckte ihn. Sichtbaren Einfluss übte auch die europäische Kunst auf ihn aus, wie man anhand von Motiven erkennen kann, die er nach Bildern von El Greco, P.P. Rubens, Pablo Picasso und Joan Miro anfertigte. Picasso, dessen „Guernica“ 1939 in New York zu sehen war, prägte ihn stark. Mehrere Gemälde eines Pferdes oder die Verschränkung von Profil- und Frontalansichten von Köpfen bei Pollock sowie blockhaft gearbeitete sinnliche Frauenkörper sind als picassoresk zu identifizieren. Darüber hinaus setzte er sich mit den Ritualen, Masken und Mythen der amerikanischen Ureinwohner auseinander. In stark farbigen Buntstiftzeichnungen und Tuscheskizzen sind Symbole, Schmucksteine und Indianerköpfe zu erkennen. Bis Mitte der 40er sieht man in Pollocks Arbeiten die Anverwandlung verschiedener Stilrichtungen, das Kopieren von Einzelmotiven und deren Verschmelzung durch dynamische Pinselstriche, sodass sich die einzelnen Figuren teils schwer erkennen lassen und die Motive ineinander übergehen. Neben der Tendenz das Bild bis zum Rand zu füllen sind in mehreren Grafiken strichförmige Tuschezeichen isoliert in einer Fläche nebeneinander gesetzt. Bei den „Psychoanalytischen Zeichnungen“ handelt es sich um diejenigen, die Pollock, ein sehr wortkarger Künstler, in seine Therapiesitzungen bei Joseph Henderson mitbrachte. Die Ideen des kollektiven Unbewussten und symbolischen Deutungen des Jungianers flossen in Pollocks Werk ein, was sich beispielsweise an Werktiteln wie „Mondfrau“ oder „The Blue Unconscious“ ablesen lässt.

Die chronologische Hängung verdeutlicht, dass Pollock ab 1942 eine Tendenz zur Verschleierung entwickelte. Zunächst durch Zeichen, die über dem eigentlichen Motiv verteilt angeordnet wurden, dann durch Übermalen von Bildteilen mit blauer oder schwarzer Farbe. Und schließlich durch Auftrag von helleren Impastofarbschichten, glänzender Aluminiumfarbe und getropftem Kolorit, sodass das ursprüngliche Bild kaum noch sichtbar ist. Ein Schlüsselwerk ist „Galaxy“ 1947, unter dem sich „The Little King“ von 1946 befindet. Man hat den Eindruck Pollock befreite sich mit den „Drip Paintings“ von der europäisch verhafteten Kunsttradition seines Landes. Mit großzügigen, rhythmischen Gesten aufgetragene Drips auf ungrundierter Leinwand im großen Format ohne Rahmen konnten folgen. Der Präsenz aufbäumender Innenwelten weicht die Präsenz des körperlich agierenden Künstlers. Nach diesem Befreiungsschlag ordnet sich das Werk wieder, mit breitem Pinsel aufgetragene pastose Farbschichten, Figuration und Buntheit kehren zurück.