Katie Paterson: dem Universum den Rücken kehren

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21. Oktober 2016
Text: Dietrich Roeschman

Katie Paterson.
Kunsthaus Centre Pasquart, Seevorstadt 71-73, Biel/Bienne.
Mittwoch, Freitag 12.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 12.00 bis 20.00 Uhr, Samstag 14.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 20. November 2016.
www.pasquart.ch

Eine ältere Dame schwankt unsicher durch den abgedunkelten Saal. Oje, könnten Sie mir bitte helfen? Ihre Hand greift nach der Hand der Aufsicht. Dazu stolpern Fragmente von Beethovens Mondschein-Sonate aus einem automatischen Flügel, begleitet vom Kreisen Tausender weißer Lichtreflexe, die eine Spiegelkugel an die Wände wirft. Auch wenn Katie Paterson (*1981) mit ihrer Kunst nicht bewusst auf Spektakel zielt: die Arbeiten, die die Schottin derzeit in Biel ausstellt, sind auf eine Weise schwindelerregend – physisch und mental –, dass es schwerfällt, sich dem taumelnden Sog, den sie auslösen, zu entziehen.

Das ist kaum verwunderlich, denn Paterson hat es sich zur Aufgabe gemacht, das ganz Große, wirklich Unvorstellbare, für das uns die Worte fehlen und die Bilder, so in Form zu bringen, dass es dennoch plötzlich greifbar wird. Mengenmässig geht es dabei gerne mal um ein paar Milliarden Jahre Erdgeschichte oder auch um kalte Materialberge in den unendlichen Weiten des Universums. So steht hier gleich im Entrée, gewissermaßen noch auf dem Flur, eine meterlange Vitrine, in der Hunderte von Briefen ausgelegt sind, die Paterson im Lauf eines Jahres an einen befreundeten Kosmologen geschickt hat. In jedem dieser Briefe kondoliert sie dem Wissenschaftler für einen gerade erloschenen Stern. „The Dying Star Letters” kreist auf so abstrakte wie romantische Weise um die Idee der unaufhaltsamen Bewegung des Universums, ebenso wie die Discokugel im Hauptsaal, deren Spiegel die 27.000 seit Beginn der Aufzeichnungen verschwundenen Sterne repräsentieren. Eine müde flackernde Parfümkerze liefert dazu aus der Erinnerung von Astronauten kreierte Weltraumduftproben, und während Paterson mit der 2200 Dias umfassenden Arbeit „History of Darkness” die unendliche Vielfalt der Farbe Schwarz im Weltall auffächert, erweisen sich die Klänge der Mondscheinsonate als Echo der per Morsecode auf die Mondoberfläche gesendeten und von dort zurück geworfenen Tonspur einer CD-Reproduktion.

In einem zweiten Teil der Ausstellung kehrt Paterson dem Universum dann zwar den Rücken, im Zentrum stehen jedoch auch hier schwer fassbare zeitliche und räumliche Dimensionen. Für ihre Videoarbeit „Langjökull, Snæfellsjökull, Solheimajökull” etwa sammelte sie Schmelzwasser von drei isländischen Gletschern und nahm dabei mit dem Mikrophon das Knacken des erwärmenden Eises auf. Zurück im Atelier fror sie das Schmelzwasser wieder ein und presste aus dem Eis je eine Schallplatte, die sie vor laufender Kamera auf einem Plattenspieler abspielte, bis sie geschmolzen war. In Biel wummert und raspelt der Beat jetzt zu den jeweils knapp zweistündigen Videos, die so auf unscheinbare, aber auch ziemlich radikale Weise die Effekte des Klimawandels ins Bild setzen. Das Wasser, das hier über den Plattenteller rinnt, ist immerhin ein paar Hunderttausend Jahre alt. Dagegen nehmen sich die 365 Tage geradezu hektisch aus, die der Plattenspieler im letzten Saal brauchen wird, um eine LP mit Vivaldis „Vier Jahreszeiten” abzuspielen. Neben dem Gerät hängt ein Kopfhörer, zu hören ist ein unendlich tiefes, leises Rauschen. Man könnte es für den Sound der Erde halten, während sie um die Sonne kreist.