Gert & Uwe Tobias, Grisaille: Ein grauer Schatten Vanitas

Review > München > Pinakothek der Moderne
3. Oktober 2016
Text: Roberta De Righi

Gert & Uwe Tobias: Grisaille.
Pinakothek der Moderne, Barer Str. 40, München.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 16. Oktober 2016.
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen: Hirmer Verlag, München 2016, 172 S., 39,90 Euro | ca 48.70 Franken.
www.pinakothek.de

Ein Vöglein und ein Seepferdchen begegnen sich im Silbergrund. Aus einer sanft gelben Wolke ragt – ein bisschen surreal  – hier ein Fischlein, dort ein Schühchen. Und auf der Klinge eines eleganten Dolches sitzt ein Schmetterling. Härter werden die Sujets aber nicht. Denn hier ist Ornament kein Verbrechen: Die Zwillingsbrüder Gert und Uwe Tobias (* 1973) lassen die Druckgraphik neue Blüten treiben. Zarte Arabesken, durchwirkt von einem Hauch Japonismus, deren dekorative Finesse auf den ersten Blick betört. Und das auch als großformatiger Holzschnitt auf Leinwand, aufwendig aufgetragen mit einem segmentierten Druckstock. Kein Wunder, dass diese Bilder auf dem Kunstmarkt – auch dank der Berliner Galerie Contemporary Fine Arts – begehrt sind.

Jetzt kann man in den Räumen der Graphischen Sammlung in der Pinakothek der Moderne rund 60 Werke der Tobias-Brüder bewundern, die in den letzten Monaten im Kölner Atelier eigens für diese Ausstellung geschaffen worden sind: „Gert & Uwe Tobias – Grisaille“ ist zugleich die erste Schau des neuen Direktors Michael Hering, der die Grisaille als „Caprice der Kunst“ bezeichnet. Die Grau-in-Grau-Malerei geht zurück ins Mittelalter, wo sie vor allem an Altarflügeln Verwendung fand. Dort wurde sie vorwiegend eingesetzt, um Steinskulpturen nachzuahmen und die plastische Qualität zu betonen. Etwas ganz anderes haben allerdings Gert & Uwe Tobias im Sinn: Sie arbeiten in ihren Grisaillen immer flächig, erzeugen mit rein plakativen Mitteln Vorder-, Mittel- und Hintergrund. Und monochrom bleiben sie dabei doch nie, leise Pastelltöne setzen Akzente.

Eine leuchtend blaue Blüte ist herabgefallen, dahinter, im Graugrund, steht nur ein Schatten von einem Strauß – dessen Abbildung zugleich wie ein Rohrschachtest wirkt. Es sind poetische, immer menschenleere Szenerien, die die Zwillinge entwerfen und so beim Betrachter eine kontemplative Stimmung erzeugen. Diese Darstellungen sind, wenn man so will, die Schatten von Vanitas-Stillleben. Für ihre Fensterbilder wiederum legen sie zum Teil mehrere Gitterstrukturen übereinander. Es entstehen subtile Licht-und Schattenspiele, in denen sich auch vegetabile Umrisse abzeichnen. Hier stellt Kurator Michael Hering die Verbindung zur Renaissance her. Aber wieder unterscheiden sich die Tobias-Brüder doch grundlegend: Während damals der Ausblick auf die Landschaft wesentlich war, verhindern ihre Fenster den Ausblick mehr, als dass sie ihn rahmen. Und die Innenräume, in denen man sich als Betrachter zu befinden scheint, werden bei längerem Hinsehen extrem hermetisch. So sind auch die „Münchner Veduten“ keine Stadtansichten, wie der Titel glauben lässt, sondern ebenfalls ornamentale Stillleben. Und „münchnerisch“ bedeutet hier vor allem im Sinne der Griechenland-Begeisterung König Ludwigs I. von Bayern: Palmetten und Voluten vom Aphaia-Tempel in Ägina aus der Glyptothek standen angeblich formal für einige der Schnörkel Pate.

Mit seiner aufwendigen ersten Präsentation stellt Michael Hering klar, dass unter ihm die Graphik nicht im Schubladenformat gedacht wird, sondern ganz groß – und wenn möglich, auch dreidimensional. Denn die Tobias-Brüder töpferten auch gewaltige Ton-Skulpturen, deren helle Glasuren so sehr aussehen wie Zuckerguss, dass man fast hineinbeißen möchte. Dafür ließen sie sich von Michelangelos bedeutender Hand-Skizze aus der Sammlung inspirieren – was sich aber kaum mehr als am Motiv der Hand ablesen lässt. An den Keramiken offenbart sich vor allem, dass der Sinn fürs Plastische bei den Tobias-Brüdern weniger stark ausgeprägt ist als ihre Begabung, reizvolle Projektionsflächen zu gestalten, in denen eine tiefere Bildwirklichkeit im Geiste des Betrachters liegt.