Edit Oderbolz

Porträt
1. Oktober 2016
Text: Isabel Zürcher

Edit Oderbolz.
Kunsthaus Baselland, St. Jakobs-Str. 170, Basel-Muttenz.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 6. November 2016.
Eine Publikation zur Ausstellung erscheint im Oktober bei argobooks, Berlin.

Dinge, die der Alltag oder der Haushalt übrig lassen, üben auf Edit Oderbolz (*1966) eine besondere Faszination aus. Verbogene Vorhangleisten hat sie als Raumzeichnungen gelten lassen, Vorhängen und ausgedienten Kleidern einen Werkstatus zuerkannt. Das braucht nicht nur ein unbestechliches Auge für Materialien, Oberflächen und die Erzählung, die diese mit sich führen. Es braucht auch Mut: Denn wo die Basler Künstlerin jene Stoffe isoliert, mit denen wir uns kleiden, schützen und einrichten, legt sie ein fragiles Gleichgewicht frei. Und die DNA von Architektur und Design ist nicht so robust, wie wir glauben möchten. Allein gelassen, greift sie nach Erinnerung, buchstabiert rückhaltlos unser Bedürfnis nach Behausung und unsere Sehnsucht nach einem freien Himmel.

Für ihre Ausstellung im Kunsthaus Baselland hat Edit Oderbolz zwei neue Installationen realisiert. „Now Rain, Now Sun“ legt in einer ebenso sparsamen wie auslaufenden Ästhetik Fährten zu einem Ursprung architektonischen Handelns aus. Wassermelonen sind auf dem Boden verteilt. Mit einer gefalteten Tageszeitung trägt jede Frucht einen Hut, ein provisorisches Dach, zieht sich in einen imaginären Schatten zurück, sucht die Vereinzelung. Eine leise Ironie umspielt diese einfache Geste. Und während aus jedem simplen Zeitungsfalz ein Zelt und ein Schutz hervorgehen, wächst aus der Wiederholung das Bild einer informellen Siedlung. Ernährung und Schlaf klingen als Thema an, das Verhältnis des Individuums zur Gruppe, globale Information versus Bedingungen vor Ort.

Doch so explizit will Oderbolz’ Erzählen in Dingen gar nicht sein. Denn die Künstlerin achtet darauf, dass ihre Gegenständlichkeit im Übergang vom Gebrauch in die Kunst bei der Andeutung innehält. Die Genauigkeit ihres Schaffens muss das Eindeutige meiden, um eigengesetzliche Räume zu stiften. Industriell gefertigt, geht ihr Bausatz jeder subjektiven, biografischen, auch kunsthandwerklichen Spur sorgsam aus dem Weg. Er misst das Tatsächliche an Wissen und Sprache, tastet unsere Sehgewohnheiten nach alternativen Bildern ab und mutet unseren Heimtextilien einen anderen Nutzen zu. Das Betttuch wird zum Segel, zur Trennwand oder zur Wolke über der Stadt mit den Melonenköpfen.

Noch einmal lehnt sich die zweite, raumgreifende Arbeit „Pose“ an architektonisches Denken an. Die rund 16 Meter lange und über zwei Meter hohe Gitterstruktur geht formal auf die Wohnsiedlung „Pedregulho“ in Rio de Janeiro zurück. Der gewundene, mehrgeschossige, auf Stützen gebaute Wohnblock ist ein Zeuge modernistischer Architektur und der Beleg für eine soziale Utopie der 1950er-Jahre. Wenn Edit Oderbolz diesen Bau entkernt und als offene Struktur ins Modell und in den Raum zurückholt, wird aus der Ikone modernen Bauens ein fragiles Gerippe. Schwarz lackiertes Armierungseisen lenkt den Blick und leitet die Schritte durch den Raum, der – seit Langem zum ersten Mal – im Untergeschoss des Industriebaus von allen Trennwänden befreit ist. Da nimmt eine Plastik Gestalt an, die den Raum nicht besetzt, sondern dem offenen Volumen gleichsam ein Skelett einzeichnet. Proportionen spielen Streiche und jeder Raum ist auch Modell. Das wissen wir, spätestens bei der Beobachtung, dass schon ein schwarzes Brett – unabhängig von seiner massstäblichen Grösse – eine Tür oder ein Fenster in die Wand einlässt.