Für Kinder. Kunstgeschichten seit 1968: Anfassen erlaubt

Für Kinder Haus der Kunst
Yto Barrada, Lyautey Unit Blocks (Play), 2010, Ausstellungsansicht Haus der Kunst München, 2025, Foto: David Levene
Review > München > Haus der Kunst
22. Oktober 2025
Text: Jürgen Moises

Für Kinder. Kunstgeschichten seit 1968.
Haus der Kunst, Prinzregentenstr. 1, München.
Montag, Mittwoch, Freitag bis Sonntag 10.00 bis 20.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 22.00 Uhr.
Bis 1. Februar 2026.
www.hausderkunst.de

Für Kinder Haus der Kunst
Basim Magdy, PINGPINPOOLPONG, or How I Learned to Laugh at Failure, 2018,  Foto: Agostino Osio
Für Kinder Haus der Kunst
Ernesto Neto, Uni Verso Bebé II Lab, 2007/2025, Ausstellungsansicht Haus der Kunst München, 2025, Foto: Agostino Osio

Als Kind ist jeder ein Künstler. Hat Picasso mal gesagt. Und er ist bei weitem nicht der einzige, der die kindliche Kreativität als Ideal für die künstlerische Arbeit beschwor. Schaut man aber in die Museen, ist dort nur selten Kunst von Kindern zu finden. Also mal abgesehen von irgendwelchen Mal-Workshop-Ergebnissen. Auch Kunst für Kinder hatte in Museen bisher eigentlich keinen Platz. Durch die Ausstellung „Für Kinder“ im Haus der Kunst könnte sich das in Zukunft aber ändern. Denn nach „In anderen Räumen“ und der Nebel-Kunst von Fujiko Nakaya ist dem Museum damit ein weiterer Blockbuster gelungen. Das gilt zumindest für die Wochenenden, wo man mit langem Anstehen, vielen Familien, schreienden oder kichernden Kinder rechnen muss. „Kunstgeschichten seit 1968“ heißt die Schau im Untertitel, an der Andrea Lissoni und sein Team mehr als zwei Jahre gearbeitet haben. Wohl, weil es in der Tat gar nicht so einfach war, Kunst für Kinder zu finden. Und weil sich herausstellte, dass im Zuge der 68er-Revolution die Kinder verstärkt in den Fokus von Künstlerinnen und Künstlern gerieten. Nicht immer, aber oft als Teil eines kunstpädagogischen Programms.

Die Kunstpädagogik radikal zu überdenken, so hieß von 1968 bis 1972 bei der Münchner Künstler- und Kunstpädagogen-Gruppe KEKS die Agenda. Dafür ging es raus in den städtischen Raum, wovon Videos in der Archiv Galerie zeugen. Diese bilden den historischen Ausgangspunkt, während es in der Mittelhalle in medias res geht. Dort werden junge Besucher von dem Japaner Ei Arakawa-Nash dazu aufgefordert, den Boden mit Wachsmalkreiden zu bemalen. Die Folge ist ein dichtes Palimpsest aus Motiven oder Sprüchen, die bereits auch zeigen, wo die Ausstellung für Kinder am Besten funktioniert: Da, wo es etwas zum Tun, etwas zum Spielen gibt. Historische Dokumente wie die zu KEKS, Lygia Papes Performance „Parachute“ (1973) oder Meredith Monks Gesangsstück „Three Heavens and Hells“ (1993) dagegen: Für Kinder total langweilig. Auch in Antoine Catalas Kunststoffgarten mit Hügeln, Bäumen und einem Teich gibt es nicht viel zu tun. Außer an autistische Kinder gerichtete Piktogramme zu entziffern. Was einem aber auch als Erwachsenem nicht wirklich gelingt. Beim „PINGPINPOOLPONG“ von Basim Magdy geht es in die Vollen. Der Künstler hat Tischtennisplatten mit Schikanen versehen, so dass man eigentlich nicht mehr gewinnen kann. Aber darum geht es: Mit Spaß das Scheitern zu lernen. Bei Olafur Elíassons Installation „The cubic structural evolution“ heißt es, aus 500 Kilo weißen Legosteinen die Stadt der Zukunft zu bauen. An sich keine originelle Idee. Aber das Ganze ist ein Publikumsrenner.

Auch sehr beliebt: Die schönen „Einschlafgeschichten“, die Harun Farocki in den Siebzigern mit seinen Zwillingstöchtern aufgenommen hat. Und ebenfalls sehr fantasievoll: Das auf sowjetischen Kinderbüchern basierende, auch im Internet erhältliche Videospiel „Nobody Knows For Certain“ von Afrah Shafiq, das wegen einer geklauten Tastatur leider nicht zu spielen war. Rivane Neuenschwander hat für „Cabra-Cega“ ein Kind Konflikte zeichnen lassen und daraus Videos gemacht, die der Avantgarde-Gitarrist Arto Lindsay vertont hat. Und für „The Name of Fear“ hat sie originelle Umhänge schneidern lassen, die gegen verschiedene Kinderängste helfen sollen. Da wird die Kunst zur Schutzmacht. Ähnliches hat sich der Künstler und Documenta-15-Teilnehmer Agus Nur Amal PMTOH bei seiner Installation „Goodness and Disaster“ gedacht. Mit kleinen Filmen oder einer großen Spielzeug-Welle versucht der Indonesier Kindern den Tsunami von 2004 zu erklären. Und das mit dem Ziel der Traumabewältigung und Heilung. Hier wird die Kunst auf spielerische Weise ernst genommen und an ihre transformative Kraft geglaubt – wie bei fast allen der mehr als 20 gezeigten Positionen. Und fast überall gilt: Anfassen erlaubt! Dafür sind im Haus an anderen Stellen neue Schilder wie „Bitte nicht rennen“ und „Bitte nicht klettern“ zu finden. So ganz wird der neuen Kundschaft wohl dann doch noch nicht getraut.