Félix Vallotton: Illusions perdues.
Kunst Museum Winterthur, Reinhart am Stadtgarten, Stadthausstr. 6, Winterthur.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Villa Flora, Tösstalstr. 44, Winterthur.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr, Mittwoch 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 7. September 2025.
kmw.ch
Da ist dieses eine Kleinformat: eine Frau bestimmt den Bildraum durch ihre rätselhafte Präsenz. Obgleich sie eine Vertikale bildet, ist alles an ihr leicht rundlich. Das Gesicht mit den vermutlich zu einem Dutt zusammengebundenen dunklen Haaren, die Schultern und die Oberarme. Versunken steht sie im Hemd im Wasser, die Hände vor der Brust zusammengeführt. Der Hintergrund ist weitgehend durch einen See oder das Meer bestimmt. Ein Wolkenstreifen durchzieht den Himmel. Wenn Félix Vallotton später Frauen am und im Wasser malen wird, werden sie ganz selbstverständlich nackt sein, und auch um diese wird etwas Artifizielles sein. Doch die „Badende im Hemd“ aus dem Jahr 1883 ist geradezu rätselhaft. Insofern man nicht weiß, ob sie im Wasser steht, schwebt und ob sie nicht vielleicht doch eine Erscheinung ist. Das weiße Trägerhemd spiegelt sich im Wasser, das wie ein zarter Nebel wirkt, doch ein bisschen sieht es eben aus als stiege sie aus diesem auf.
Vallotton war damals gerade 18 Jahre und lebte noch nicht lange in Paris. 2025 jährt sich sein Todestag zum 100. Mal und es versteht sich, dass das Kunstmuseum Winterthur in dem Jubiläumsjahr „Année Vallotton“ mit der Ausstellung „Illusions perdues“ eine besondere Rolle einnimmt – erst recht seitdem die Villa Flora zum Museum gehört. Das Sammlerpaar Hedy und Arthur Hahnloser kaufte 1907 sein erstes Bild vom Künstler. Man freundete sich an, Vallotton besuchte die Familie regelmäßig in Winterthur. In der Villa Flora hängen zwei Porträts, die Hedy und Arthur Hahnloser zeigen und ein weiteres, auf dem ihre beiden Kinder dargestellt sind. Es ist 1912 entstanden. Im Kunstmuseum Winterthur und in der Villa Flora sind gut 150 Arbeiten von Félix Vallotton zu sehen, in der intimeren Villa liegt der Schwerpunkt auf der Druckgrafik, doch hier sind auch eine Reihe von Blumenstillleben zu sehen, die zeigen, wie großartig sein Umgang mit Farbe ist. Ebenfalls das Porträt der fünf Maler „Les cinq peintres“, auf dem Vallotton sich unter anderem neben Pierre Bonnard und Édouard Vuillard porträtiert.
Der in Lausanne geborene Félix Vallotton, der später Franzose werden sollte, ist anfangs vom Impressionismus, von Gustave Courbet und Édouard Manet beeinflusst, später wird er Mitglied der Nabis sein, doch es wird immer auch etwas Einzelgängerisches um den Künstler sein und etwas Rätselhaftes. Vallotton malt enigmatische Bilder, doch selten gibt er den Betrachtenden die Indizien, die ihnen helfen würden, das Gesehene zu deuten. Der Ausstellungstitel „Ilussions perdues“ ist Honoré de Balzac entlehnt, der versuchte ein Zeitpanorama zu entwerfen. Oft scheinen Vallottons Paardarstellungen geradezu romanhaft von Verstrickungen und verlorenen Illusionen zu erzählen. Selbst Stillleben scheinen nicht unverfänglich, so wird in Winterthur auch das Bild „Poivrons rouges“ von 1915 gezeigt, das sich im Kunstmuseum Solothurn befindet. Der Künstler hat fünf Paprika, deren rote und grüne Farbe den unterschiedlichen Reifegrad anzeigt, gemalt. Sie liegen auf einem weißen Porzellanteller, der wiederum auf einem Hintergrund von hellem Türkis abgebildet ist. Vor den Paprikaschoten hat jemand ein Messer abgelegt, nicht unbedingt ein Küchenmesser, seine Spitze jedoch ist rot. So tiefrot und so klar abgegrenzt ist der Fleck, dass er kaum eine Spiegelung der orangeroten Paprika dahinter sein kann. Doch woher sollte hier Blut kommen? Andere Arbeiten wie „La Charette“ aus dem Jahr 1911 haben etwas Surrealistisches und könnten ein Filmstill sein. Es ist ganz in Grün gehalten, überhaupt scheint Vallotton ein Faible für die Farbe gehabt zu haben. Eine einspännige Kutsche fährt auf einem Weg, der rechts von Bäumen überfangen ist und links an einer Vegetation vorbeiführt, die etwas Groteskes, geradezu Skulpturales hat, das an einen Schriftzug erinnert. Wer die Buchstaben erkennen würde, könnte womöglich ein Geheimnis entziffern.