Florence Jung

Florence Jung, aus: Jung100, 2025, Plakatserie, Courtesy the artist und Halle für Kunst, Lüneburg
Porträt
3. Juni 2025
Text: Dietrich Roeschmann

Florence Jung.

Halle für Kunst, Reichenbacherstr. 2, Lüneburg.
Mittwoch bis Sonntag 14.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 15. März 2026.

www.halle-fuer-kunst.de

[— artline>Nord] In der Kunsthalle Basel konnten die Besucher:innen vor ein paar Jahren zwischen zwei Ticketoptionen wählen: Einfach oder mit allem. Mit allem war nicht teurer, aber dafür gab’s mehr fürs Geld. Was genau, erläuterte die damalige Kuratorin Elena Filipovic in einem Schreiben, das nur die All-inclusive-Besucher:innen erhielten: „Florence Jung wurde gebeten, diese Ausstellung mit zu kuratieren. Sie nutzte diese Position, um auf alle Aspekte der Entscheidungen beim Ausstellungsmachen einzuwirken. Diese Einflussnahme ist ihr Beitrag zur Ausstellung, wobei Genaueres jedoch vertraulich ist”.

Die spekulative Performance trug den Titel „Jung52”. Sie stammte von Florence Jung, einer in Frankreich geborenen Künstlerin, die sich bis heute konsequent weigert, ihr Gesicht in der Öffentlichkeit zu zeigen, das Fotografieren ihrer Ausstellungen untersagt, Interviews mit Zitaten anderer beantwortet, Schauspielerinnen engagiert, die sie bei Kunstevents vertreten, und sich auch ansonsten auf eine spektakulär aufdringliche, kluge und komplexe Weise rar macht. Zentrales Thema ihrer extremen Konzeptkunst sind die Bedingungen der Möglichkeiten von Kunst, die Jung in Happenings und Performances, von denen oft nicht mehr als eine Idee existiert, gleichermaßen nutzt, seziert und unterläuft. Für eine kaum beachtete, womöglich virtuelle Gruppenschau in einem Hotelzimmer in Nordkorea etwa steuerte sie lediglich einen Gedanken bei, der sich in dem Moment selbst zerstören sollte, in dem er gedacht wurde. Medienwirksam inszeniert war dagegen ihr – erfolgreicher – Versuch, die Jury des renommierten Aeschlimann Corti-Stipendiums 2015 zu bestechen, und auch ihr viel diskutierter Beitrag zur Zürcher Manifesta 11 war von stiller Brisanz: Er bestand in der Verpflichtung von Chef-Kurator Christian Jankowski, bei jedem seiner zahlreichen öffentlichen Auftritte im Uhrenland Schweiz eine gefälschte Rolex zu tragen.

Zu sehen ist in Jungs Ausstellungen eher wenig – und wenn, dann fällt es schwer zu sagen, was genau Teil der künstlerischen Arbeit ist und was Teil ihrer Vermittlung, Promotion, Administration. Worin besteht zum Beispiel eine Arbeit wie „Jung59“, die kürzlich sämtliche Äußerungen der Besuchenden während der Dauer einer Ausstellung im Pariser Palais de Tokyo umfasste, in der diese getätigt wurden? War es der Verzicht auf ihre Rechte am Gesagten, in den die Besuchenden mit dem Betreten der Ausstellung per Vertrag einwilligen mussten? War es die Vorstellung, die diese Idee in den Köpfen der Beteiligten erzeugte? Oder die Erzählung darüber, die sich in der Erinnerung verfing wie ein Gerücht? „Ich kreiere inszenierte Situationen für das reale Leben“, sagte Florence Jung 2018 in einem ihrer raren Interviews.

Das tut sie nun auch zum 30-jährigen Bestehen der Halle für Kunst in Lüneburg. Auf Einladung der neuen Leiterinnen Lisa Deml und Marie-Sophie Dorsch entwickelte sie drei Szenarien für das Jubiläumsjahr, die die räumlichen und zeitlichen Grenzen des Formats Ausstellung klar infrage stellen. Jedes dieser Szenarien verlangt von den Besucher:innen eine absurde Entscheidung – etwa ob sie zur Wahrnehmungssteigerung die im Kunstraum auf Nachfrage zur Verfügung stehenden Psychostimulanzien einnehmen oder nicht („Jung99“). Oder wie sie die monatlich auf Plakaten veröffentlichten zwölf Dilemmata der Serie „Jung100“ lösen werden. Und schließlich, ob sie in 30 Jahren tatsächlich in die Halle für Kunst zurückkehren werden, um einen zur Vernissage im März 2025 von Florence Jung befüllten und verschlossenen Safe mit dem Code zu öffnen, den die Künstlerin ihnen 2055 per Mail zuschicken wird. Es sind drei Werke, wie Jung sie schätzt: „leicht, reduziert, instabil, ungewiss“.