Auf der Strasse: Aufgelesen

Auf der Strasse
Salon Liz (Anna Hilti, Stefanie Thöny, Anita Zumbühl), © Salon Liz & Julia Nusser
Thema
7. Mai 2025
Text: Redaktion

Auf der Strasse!
Kunstmuseum Liechtenstein, Städtle 32, Vaduz.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 31. August 2025.
www.kunstmuseum.li

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Mierle Laderman Ukeles, Touch Sanitation Performance, 1979–80, Foto: Deborah Freedman, Courtesy the artist and Ronald Feldman Gallery, New York, © Mierle Laderman Ukeles
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Francis Alÿs, Paradox of Praxis 1 (Sometimes Making Something Leads to Nothing), 1997, Videostill, Courtesy the artist and Galerie Peter Kilchmann, Zurich/Paris, © Francis Alÿs Studio

Hätte Christiane Meyer-Stoll vom Kunstmuseum Liechtenstein „Auf der Strasse“ mit den Pariser Flaneuren begonnen, es wäre eine andere Ausstellung geworden. So setzt diese nicht allein mit einer Hommage an Agnès Varda (1928-2019) ein, ihr Film „Les glaneurs et la glaneuse“ verzichtet auch auf eine Distanz zu denen, die sich nach Essbarem bücken. Varda sucht zwar keine Felder nach stehen gebliebenen Ähren ab, doch wie sie die Bäuerinnen befragt und die Männer und Frauen beobachtet, die nach Markttagen in Paris noch brauchbare Lebensmittel vom Boden aufsammeln, folgt auch einem ästhetischen Prinzip. Es bezieht die Empathie mit jenen ein, die sich krümmen, um nichts verkommen zu lassen, sei es aus purer Not oder weil es sich einfach nicht gehört. Und es bindet das, was Varda als „glaneuse“ aufgeklaubt hat, in eine Erzählung mit politscher und gesellschaftlicher Intention ein.

Eine Ausstellung zu kuratieren, die sich im weitesten Sinne mit der Straße befasst, klingt in Liechtenstein nach Kompensieren und ist nicht eben naheliegend. Vaduz, wo sich das Kunstmuseum Liechtenstein befindet, hat knapp 6.000 Einwohner:innen und ist damit alles andere als urban. Straßen führen hier weniger ins Zentrum als zu der einen oder anderen Grenze. „Auf der Strasse“ reflektiert so auch weniger die geografische Lage des Liechtensteiner Hauptorts als den Vorwurf, Kunst sei elitär. Die thematische Ausstellung tritt an, das Gegenteil zu beweisen. Dass einige der beteiligten Kunstschaffenden aus früheren Ostblockstaaten stammen oder marginalisierten Gruppen angehören, überrascht nicht. Jiří Kovanda (*1953) etwa führte 1976 auf den Straßen Prags einfache Gesten aus, so breitete er etwa seine Arme aus, dreht sich auf einer Rolltreppe nach jemandem um und fixierte ihn mit seinem Blick. Tomislav Gotovac (1937-2010) bettelte um 1980 in Zagreb oder putzte die Straße. Ihre Aktionen waren mehr als kleine Holprigkeiten des Alltags, Gotovac wurde wegen des Bettelns zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Denn der Sozialismus sorgte für seine Kinder, und überhaupt war die Straße kein Ort für individuelle Meinungsäußerungen, sondern für offizielle Aufmärsche. In Francis Alÿs‘ Video „Painting/Retoque“, das auf einer Performance im Jahr 2008 beruht, ist die Straße zugleich Grenze zwischen Nord- und Südamerika.  Alÿs (*1959) zog in der früheren Panamakanalzone 60 Mittelstreifen mit gelber Farbe nach. Während der Künstler auf dem Asphalt kauert und hingebungsvoll erst die verblasste Kontur rekonstruiert, dann den Streifen ausmalt, fahren im Hintergrund Containerschiffe an ihm vorbei oder ein Mann steht an seinem Nissan Frontier-Pick-up. Seit 1999 besitzt Panama die Hoheitsrechte an diesem Gebiet. Wie politisch nicht nur Grenzen, sondern auch Straßen wieder sind, zeigt derzeit die Weltpolitik. Oder eine Ausstellung, die sich mitten in der Gegenwart verortet.