Maria Toumazou

Maria Toumazou, half-frame, 2025, Außenansicht der Lochkamera-Installation im Behnhausgarten mit Renée Sintenis’ Daphne, 1930, Courtesy the artist, Foto: Eric Bell, © the artist & Overbeck-Gesellschaft
Porträt
4. März 2025
Text: Dietrich Roeschmann

Maria Toumazou: Half Frame.
Overbeck-Gesellschaft – Kunstverein Lübeck, Königstr. 11, Behnhausgarten, und Kulturkirche St. Petri, Petrikirchhof 4, Lübeck.
Donnerstag bis Sonntag 12.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 20. März (St. Petri) und bis 27. April 2025 (Overbeck-Gesellschaft).

overbeck-gesellschaft.de

Maria Toumazou, Zoe, 2025, Projektionsstill, Courtesy the artist, Foto: Eric Bell, © the artist & Overbeck-Gesellschaft
Maria Toumazou, half-frame, 2025, Ausstellungsansicht in der Overbeck-Gesellschaft,Courtesy the artist, Foto: Eric Bell, © the artist & Overbeck-Gesellschaft
Maria Toumazou, half-frame, 2025, Ausstellungsansicht Kulturkirche St. Petri, mit „Clock gifted to the church by a blind man“ (vorne) und „canons“ (hinten), beide 2025, Courtesy the artist, Foto: Eric Bell, © the artist & Overbeck-Gesellschaft
Maria Toumazou, Clock gifted to the church by a blind man, 2025, Ausstellungsansicht Kulturkirche St. Petri, Courtesy the artist, Foto: Eric Bell, © the artist & Overbeck-Gesellschaft

[—artline Nord] Wenn die Vorfrühlingssonne gerade richtig steht, funkelt Daphne sehr golden auf ihrem Sockel vor dem modernistischen Pavillon der Lübecker Overbeck-Gesellschaft. Seit 1930 steht die Figur hier, eigens für den Ort geschaffen von der Bildhauerin Renée Sintenis (1888-1965). Anders als in allen bisherigen Darstellungen ist ihre Daphne erstmals allein. Kein Apollo weit und breit, der ihr wieder mal nachstellt – me time, tree time: Zeit, sich in den Baum zu verwandeln, als der sie sich seinen Übergriffen ein für alle Male entziehen wird.

Für Maria Toumazou, 1989 in Nikosia auf Zypern geboren, ist Sintenis’ Neuinterpretation der mythologischen Figur als selbstbestimmte Frau ein willkommener Anlass, um sich in ihrer von Paula Kommoss kuratierten Ausstellung in der Overbeck-Gesellschaft Gedanken zu machen über die Funktion von Reproduktionstechniken bei der Befragung des kunsthistorischen Kanons. Im Innern des Gebäudes hat sie dafür einen abgedunkelten Raum im Raum eingerichtet, der durch ein Loch in der Wand mit der Außenwelt verbunden ist. Das durch die Öffnung einfallende Licht lässt die Daphne aus dem Garten kopfüber auf der gegenüberliegenden Wand als flüchtiges Phänomen erscheinen. Maria Toumazou rückt so nicht nur Sintenis’ eigenwillige Perspektive auf die Mythologie in den Blick, sondern entführt zugleich in die Geschichte der Reproduzierbarkeit von Kunstwerken und der Verflüssigung von Autor:innenschaft. Dass es eine Weile braucht, diese Zusammenhänge zu erschließen, ist durchaus im Sinn der Künstlerin. So, wie sich das Auge in ihrer Lochkamera-Installation zunächst an die Dunkelheit gewöhnen muss, bevor es die ersten Schemen der Daphne erkennt, fügen sich auch in Toumazous Ausstellung „Half Frame“ die Teile erst nach und nach zu einem größeren Bild.

An den Wänden des sonst fast leeren Raumes in der Overbeck-Gesellschaft zeigen zwei Beamer-Projektionen je die Fotografie eines Filmstreifens, auf dem ein Fens­terband zu sehen ist. Der Rhythmus der Bildrahmen korresponiert mit dem der Fensterrahmen, die Toumazou vor Ort fotografiert hat: Es sind Ausschnitte der Oberlichter, die das Gebäude mit Tageslicht fluten und den Raum so in eine Art Apparat zur Herstellung von Sichtbarkeit verwandeln. Nicht zufällig bezieht sich der Ausstellungstitel „Half Frame“ auf die in den 1960er Jahren populäre Technik der Halbformatkamera, die durch die Halbierung des 35-mm-Standardbildes die Belichtung plötzlich deutlich effektiver und günstiger machte. Dass Toumazou die Beamer in Sockeln verbaut hat, deren Höhe dem Sockel der Daphne im Garten entspricht, zieht einen weiteren imaginären Horizont in die Ausstellung ein, der die Grenzen – hier zwischen Innen und Außen – verschwimmen lässt.

Von Grenzüberwindung erzählt auch Toumazous Skulptur „canons“. Als Vorlage diente ihr die Fotografie einer Kirchenglocke, die lange Zeit in Nikosia über die von UN-Blauhelmsoldaten kontrollierte Pufferzone hinweg im griechischen und im türkischen Teil der Stadt zu hören war. Als die Kommune Ikonen aus der Kirche entfernen wollte, um sie ins Museum zu bringen, läuteten Frauen der Gemeinde Alarm, bis die Glocke zerbrach. Inspiriert von dieser Geste kollektiven Handelns, nimmt Maria Toumazous Skulptur nun die Form der Glockenkrone auf, als starke Verbindung einzelner Streben. Am zweiten Ausstellungsort in der Kulturkirche St. Petri sitzt diese jetzt am Boden wie eine riesige Spinne, bereit, das Netz der vielfältigen Bezüge noch dichter und weiter zu spinnen.