Dance, Dance,Revolution. Rhythmus, Bewegung, Exzess sind politisch

Tobias Zielony, Shine, 2017, © VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Courtesy the artist & KOW, Berlin
Review > Hamburg > Kunsthaus Hamburg
4. Oktober 2024
Text: Falk Schreiber

Dance, Dance, Revolution.
Kunsthaus Hamburg, Klosterwall 15, Hamburg.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 13. Oktober 2024

www.kunsthaushamburg.de

 

Tobias Zielony, Anastasia, 2017, © VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Courtesy the artist & KOW, Berlin
Anna Potyomkina, Dances at the Dead. Archive., (2023, fortlaufend), Videostill, Courtesy the artist
Óstov Collective (Elza Gubanova & Leon Seidel), Zlam, 2022, © Leon Seidel, 2022

[— artline Nord] Tanz mag hedonistische Zerstreuung sein, Tanz ist aber auch: Solidarisierung, Gemeinschaft, Subversion. Als Anna Nowak, Chefin des Hamburger Kunsthauses, vor einigen Jahren in Tel Aviv unterwegs war, fiel ihr auf, dass trotz Kriegsgefahr, andauernder Regierungskrisen, galoppierender Gentrifizierung und perspektivarmer Jugend immerhin die Clubszene florierte. Ähnliche Beobachtungen im libanesischen Beirut und im georgischen Tbilisi: Die Jugend rebellierte. Und die Jugend tanzte.

Selbst in Kyiv wird getanzt. Tobias Zielony beleuchtet die queere Partyszene der ukrainischen Hauptstadt mit dem Video „Shine“ und der Fotoserie „Maskirovka“, beide entstanden 2017, noch vor dem russischen Einmarsch 2022, aber nach Beginn der Kriegshandlungen im Osten des Landes 2014. Tatsächlich gilt diese Szene als Schlüssel für dieWestorientierung des Landes: Noch während der Euromaidan-Bewegung 2013 prägten Organisationen wie der rechtsextreme „Prawyj Sektor“ die Außenwirkung der ukrainischen Zivilgesellschaft, durch die Clubs aber vermittelte sich die Erkenntnis, dass es in dem Land noch anderes gab, weswegen das russische Narrativ, in der Ukraine gegen „Neonazis“ zu kämpfen, ins Leere lief. Dass es Personen aus dem LGBTIQ-Umfeld auch in Kyiv (von der Provinz nicht zu reden) nicht immer leicht haben, verschweigt Zielony dabei nicht, gleichwohl ist es interessant, wie „Shine“ und „Maskirovka“ einen ersten Zugang zur von Nowak kuratierten Kunsthaus-Ausstellung „Dance, Dance, Revolution“ herstellen. Weil der Fotograf hier einen westlichen Blick auf ein weltweites Phänomen in seiner osteuropäischen Ausprägung, versteht man sofort, wie die Ausstellung Subversion und Hedonismus zusammendenkt. Wer also Zielonys Arbeiten gesehen hat, hat eine Beziehung zur Videoinstallation „Dedicated to the Youth of the World II“ (2019) von Roman Khimei und Yarema Malashchuk oder zum archivarischen „Dances at the Dead“ (2023) von Anna Potyomkina. Hintergrundinfos benötigt das Video „The Battle over Mazepa“ (2023) von Mykola Ridnyi, wobei diese auch verfügbar sind: Es geht um eine Rap-Interpretation des Kosaken Iwan Mazepa, der seit dem 17. Jahrhundert aus ukrainischer Perspektive als Freiheitsheld, aus russischer Perspektive als Verräter gilt. Schwieriger wird es bei den hermetischen Installationen von Iza Tarasewicz, die den polnischen Volkstanz Mazurka in einen widerständigen Kontext stellen. Wobei diese Hermetik die Qualität der Ausstellung nicht schmälert. Denn tatsächlich ist auch das Teil der subversiven Kraft des Tanzes: dass nicht immer alles bis ins Letzte erklärt werden kann. Und dass Rhythmus, Bewegung, Exzess auch politisch sind.