Georgia Sagri: Case_O. Between Wars.
Kunstmuseum Liechtenstein, Städtle 32, Vaduz.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
20. September 2024 bis 9. Februar 2025.
www.kunstmuseum.li
www.georgiasagri.com
Zweihundert überzeugende Worte hätten genügt und wir könnten unter Anleitung von Georgia Sagri (*1979) nun auf unseren Atem hören. Bis Ende August nahm Sagri Motivationsschreiben für ihr Projekt „Stage of Recovery“ an. Es ist Teil der Gruppenschau „Neon“ an der Schauspielschule des Athener Nationaltheaters, an der auch Grada Kilomba und Mona Hatoum beteiligt sind. „Stage of Recovery“ ist einerseits eine bühnenartige Holzkonstruktion, auf der mehrere Matratzen liegen. Andererseits vor allem eine Matte für Bewegungs- und Stimmübungen, die Sagri Iasi (Erholung) nennt.
Es ist nicht das erste Mal, dass Sagri sich auf diese Weise Zeit für andere nimmt. Vor zwei Jahren lud sie in der Ausstellung „YOY! Care, Repair, Heal“ im Berliner Gropiusbau zu solchen Sitzungen ein. An ihren Zeitgenossen konstatierte die Griechin Autoimmunerkrankungen, Ängste und Stress. „Jeder Teilnehmende wird Bewegungen und Verhaltensmuster finden, die erlauben vom Schmerz zu lernen, und dabei stärker und ermächtigt zu werden und die das Potenzial einer tiefer gehenden Selbstheilung haben“, so die Künstlerin. Im Kunstmuseum Liechtenstein, das ihre Einzelausstellung „Case_O. Between Wars“ zeigt, werden aktuelle und vergangene Kriege eine Rolle spielen und wie sie Individuen und Gesellschaften formen. In Vaduz wird sie daher auch einen Dialog mit Arbeiten aus der Sammlung Veronika und Peter Monauni führen, die im Deutschland der Nachkriegszeit entstanden sind.
Die Iasi-Übungen sollten einmal lediglich ihr selbst helfen. Denn mit den Herausforderungen öffentlicher Auftritte kannte sie sich bereits aus bevor sie in Athen und New York Kunst studierte und ihre ersten Performances aufführte. Sagri ist ausgebildete Musikerin. Und sie setzt sich unter Druck. Bei ihren frühen Performances arbeitete sie exzessiv mit ihrer Stimme, sie atmete stoßweise, nahm diese Klänge auf, bearbeitete sie und bewegte sich entgegen ihres Atemrhythmus. 2018 verlagerte sie die Performance „Semiotics of the Household“ vom White Cube der Galerie in den öffentlichen Raum New Yorks. Nicht grundlos ist der Titel ein Echo auf Martha Roslers ikonisches Video „Semiotics of the Kitchen“ aus dem Jahr 1975. Während Rosler mit Küchengeräten das Hausfrauenelend durchbuchstabierte, legte Sagri den Inhalt ihres Rollkoffers auf die Straße, packte ihre Habseligkeiten wieder in den Koffer, wiederholte diese Prozedur bis am Ende die Polizei auf den Plan gerufen wurde. Hinderte in den 1970er Jahren noch das traditionelle Familienbild die Frau an der Emanzipation, engen uns alle heute Neoliberalismus und Kapitalismus ein.
Was anfangs zur Vorbereitung auf ihre Performances und der Regeneration diente, wurde zu einer kollektiven Praxis. Das Körperliche ist überhaupt in Georgia Sagris Kunst nicht nur omnipräsent, es führt auch zur Gruppenbildung. Körper sind politisch. Gut möglich, dass sie als Athenerin hier besonders prädestiniert ist. Da ist nicht nur das attische demokratische Erbe, da sind auch die Demonstrationen der letzten Jahre in Griechenland. Und so materialisieren sich in Sagris Arbeiten Körper, ihre Organe und Verletzungen oft in flächigen Skulpturen. „Dynamis/Soma in orgasm as sex“, eine variable Arbeit, die erstmals auf der documenta 14 zu sehen war, und aus poppig wirkenden Darstellungen von Sexualorganen, dem Gehirn, Herz oder aber Beinen und Armen besteht. Beim Art Parcours 2023 applizierte sie einem Haus in der Basler Altstadt eine deutlich sichtbare Wunde auf die Fassade. Zu groß, um sie zu übersehen, aber zu hoch gehängt, um sie stillen zu können.