Bitte zu Tisch: Humor mit Biss

Zu Tisch
Erwin Wurm, Bar (Drinking Sculpture), 2019, Foto Studio, Erwin Wurm
Review > Burgrieden > Museum Villa Rot
12. September 2024

Bitte zu Tisch!
Museum Villa Rot, Schlossweg 2, Burgrieden-Rot.
Donnerstag bis Samstag 14.00 bis 17.00 Uhr, Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 6. Oktober 2024.
www.villa-rot.de

Zu Tisch
Moritz Götze, Stillleben, 2001, Foto: Michel Klehm, Courtesy the artist
Zu Tisch
Anja Luithle, Der Kaffeetisch, 2001/2006, Courtesy the artist

Im Obergeschoss des Museums Villa Rot stehen die Betrachtenden vor einem gigantischen Objekt, das diagonal den Raum durchmisst. Der Groschen fällt nach aufmerksamem Betrachten – es ist ein Wegwerf-Kaffeerührer, wie sie früher zu jedem Coffee-to-go mitgegeben wurden. Ein Sinnbild der gedankenlosen Wegwerfmentalität. Bildhauer Eckart Steinhauser zeigt in seinen übergroßen Holzexponaten aber nicht nur die Absurdität der Einwegkultur, sondern auch die Ästhetik von Gebrauchsgeschirr. Die Ausstellung „Bitte zu Tisch!“ versammelt eine Vielzahl spannender Exponate rund um Esstisch und Tischsitte(n). Hinsichtlich Darstellungen gemeinsamen Essens ist Leonardo da Vincis „Das letzte Abendmahl“ am bekanntesten: Eine lange Tafel, man blickt den daran Versammelten frontal ins Gesicht. Der Raum öffnet sich weit dem Betrachter entgegen. Mit dieser ikonischen Visualisierung spielt Ben Willikens‘ Malerei „Raum 788“. Willikens entkleidet da Vincis Gemälde aller menschlichen Präsenz. Indem er den Raum abdunkelt, in kalt-blaues Licht taucht und den Boden mit schwarzen Fliesen auslegt, wird da Vincis Saal zu einem OP-Saal. Ein Raum vollkommener Stille, in der Willikens eigene Erfahrungen im Gesundheitssystem reminisziert. Zugleich zeigt er das „Letzte Abendmahl“ – durch Auslassung. Vor dem inneren Auge sieht man das Original da Vincis als Echo von Gemeinschaft und Miteinander.

Immer wieder beschreiben Künstlerinnen und Künstler Gemeinschaft durch pointierte Leerstellen. So auch Anja Luithle mit ihrer kinetischen Arbeit „Der Kaffeetisch“ in der Kunsthalle. Ein bombastischer Tisch, auf dem Tassen und Teller sich wie von Geisterhand bewegen. Sie zeigen Eigenleben, umwandern einander, stoßen gelegentliches an oder gehen auf Abstand. Diese originelle kinetische Arbeit hat Geschwister: Anja Luithle lässt in weiteren Exponaten leere Sektgläser miteinander anstoßen oder Essstäbchen und Gabeln auf leeren Tellern klappern. Die Menschen sind fort, zurück bleiben die geisterhaften Klänge der Objekte, die den Menschen ersetzen – wie bei Anke Eilergerhard. Diese zeigt Gestalten aus barockisiertem Porzellan in Cremefarben, die mit eingefärbten Silikonformen zu weiblichen Entitäten zusammengefügt sind. Sie tragen Namen wie „Annalota“ oder „Annastasia“. Selbstbewusst stehen sie da; man denkt unwillkürlich an ältere Kaffeetanten, die sich hier getroffen haben. Den dazugehörigen Kuchen zeigt Eilergerhard in Fotografien: „137 Torten“. Allerdings sind die Abzüge im Negativ gezeigt, pechschwarz. Die reine Form macht aus Naschkram ein abstraktes Zeichensys­tem: Artefakte der Dekadenz.

Hartmut Kiewerts figürliche Malerei übt Kritik an menschlichem Ernährungsverhalten mit Humor und Biss. Mensch und Tier picknicken einträchtig in der Natur. Das Idyll wird gestört durch den Hintergrund voller zerstörter Fabriken bekannter Lebensmittelhersteller. Ein Denkanstoß für eine „positive Zukunft“, in der die Menschheit nicht vom Tier, sondern mit dem Tier lebt. Eine solche Zukunft imaginiert auch Mado Nullans und bittet zu einem experimentellen veganen Essen zu Tisch. Allerdings ist der Tisch eine Projektion und das Besteck ist maximal transformiert – Gabeln und Löffel sind zu neuen Formen verschmolzen, Zinken verbogen oder Griffe ins Groteske verlängert. Im Video bemühen sich die Testesser dennoch, mit diesem Unwerkzeug zu essen. Brisante Konservierungen von Gelagen komponieren Daniel Spoerris „Fallenbilder“. Das Exponat „Er hat die Weisheit mit Löffeln gefressen“ zeigt mit Löffeln, Essenresten sowie Teilen von Gebissen und Schneckenhäusern die Endlichkeit jeden Genusses. Die schöne neue genmanipulierte Welt führt Erwin Wurm vor. Eine gigantisch vergrößerte Gurke wächst durch einen 1950er-Jahre-Nierentisch. Zwar laden Gläser zum Trinken ein, aber die übermannsgroße schwarze Gurke als Trinkgeselle ist auf witzige Weise unheimlich.