Bernhard Hoetger (1874-1949): Zwischen den Welten.
Barkenhoff, Ostendorfer Str. 10, Worpswede.
Montag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Große Kunstschau, Lindenallee 5, Worpswede.
Montag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Worpsweder Kunsthalle, Bergstr. 17, Worpswede.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 3. November 2024.
[—artline Nord] Nach der „Machtergreifung“ der Nazis fielen gleich mehrere Werke Bernhard Hoetgers dem neuen Kunstdiktat zum Opfer. Den Bildhauer, Architekten, Kunsthandwerker und Maler hielt das nicht davon ab, auf die braune Bewegung zu setzen. Er trat in die NSDAP ein, suchte die Nähe zur neuen Politelite. Hoetger war sich sicher: Seine Kunst könnte dem Führer-Staat dienen – und er würde neue Aufträge erhalten. Im Leitkulturbild des Nordischen und der Ablösung griechisch-römischen Kunstdominanz sah er Übereinstimmung. Hoetger irrte sich. „Lichtbringer“ Hitler persönlich empörte sich 1936 vor großem Parteigenossenpublikum über die „Böttcher-Straßen-Kultur“ mit ihren „undefinierbaren Phrasen“ und „irgendeinem sagenhaften atlantischen Kulturkreis“.
Der Widerspruch zwischen Selbstverständnis und dem harschen Urteil der NS-Kunstaufseher ist exemplarisch für die vielen Gegensätze, Sprünge und Brüche in Hoetgers Leben. Gerade diese sind ein Leitmotiv für die Ausstellungen, die jetzt in Worpswede anlässlich des 150. Geburtstags des Künstlers zu sehen sind. Im Barkenhoff, in der großen Kunstschau und in der Worpsweder Kunsthalle blickt das kuratierende Team aus verschiedenen Perspektiven auf den umstrittenen Eklektiker. Viele exemplarische Arbeiten aus wichtigen Werkphasen bezeugen die Vielfalt. Zugleich zieht sich die Suche nach einem roten Faden und einem Rahmen durch die Schau. Kontinuität, die der Formenausfransung Ursprung und Richtung gibt, ist am ehesten in Hoetgers Geisteshaltung und Weltanschauung zu finden.
Im Barkenhoff sind die Anfänge im Dialog mit Heinrich Vogeler thematisiert. Beide orientieren sich am Jugendstil. Hoetgers Skulptur der Tänzerin Loie Fuller zeigt seine Faszination für fließende dekorative Linien. Früh wirken Einflüsse von Rodin. Hoetger lehnt sich aber auch in Figuren aus der Arbeitswelt an den Realismus eines Constantin Meunier oder Honoré Daumier an. Mit großen, glatten Formen beruhigt und monumentalisiert der Bildhauer um 1905 seine Plastiken.
Ägyptische Skulptur, die Malerei Gauguins, die Kleinskulpturen Maillols inspirieren den Künstler. Thematisch wendet er sich Mythen und spirituellem Denken zu. Zum schnellen Erfolg tragen Förderer und Mäzene bei, die ihm die Realisierung seiner üppigen Visionen ermöglichen und deren Vorstellungen er vertragsfördernd aufgreift. Der Wuppertaler Bankier, Sammler und Mäzen Eduard von der Heydt gehört ebenso dazu wie der Hannoveraner Keksfabrikant Hermann Bahlsen, dessen Ägypten-Enthusiasmus Hoetger teilt. Wichtig wird dann der Bremer Kaffeehändler Ludwig Roselius, dem Hoetger während seiner Worpsweder Zeit eine ganze Reihe von Aufträgen verdankt. Der Elberfelder Gerechtigkeitsbrunnen, der Darmstädter Platanenhain mit dem Versuch, die spirituellen Quellen der Welt zu vereinen, die von ägyptischem Kult- und Kunstverständnis inspirierte TET-Stadt für Hannover, das Worpsweder Ensemble mit Café und Kunstschau und in der Böttcherstraße das Paula Modersohn Becker-Museum sowie das Haus Atlantis belegen, dass Hoetger variabel war und zugleich konstant selbstgewiss. Er war begeisterungsfähig, besaß Empathie für die Bedürfnisse potentieller Förderer. Er brauchte ein Gegenüber, Gespräch und Bestätigung, wie Stefan Bochardt, Kurator der Ausstellungssektion „Licht und Schatten“ in Worpswede, analysiert.
Die Jubiläumsschauen werden der Komplexität Boetgers gerecht. Sie bieten mit Interventionen der Künstlerin Julia Kiehlmann ein zeitgenössisches Echo auf einen gerade für heute aufschlussreichen Fall misslungener ideologischer und politischer Parteinahmen aufgrund „falscher“ Formlösungen. Bei der Aufdeckung einer Parteimitgliedschaft fängt die Auseinandersetzung mit einem Künstler erst an. Und vor die Anschauung ist das Hinschauen gesetzt.