Sara Deraedt: free. Familienaufstellung im Hüttendorf

Sara Deraedt, free, 2024, Ausstellungsansicht Kunstverein Freiburg, Courtesy the artist, Foto: Marc Doradzillo
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22. Juli 2024
Text: Dietrich Roeschmann

Sara Deraedt: free.

Kunstverein Freiburg, Dreisamstr. 21, Freiburg.
Mittwoch bis Freitag 15.00 bis 19.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 11.0 bis 18.00 Uhr.
Bis 28. Juli 2024.
www.kunstvereinfreiburg.de

Kunstverein Freiburg am 25. Juli 2024, 19.00 Uhr:
Fabian Goppelsröder: Hütten. Architekturen zwischen Innen und Außen.
Vortrag

Sara Deraedt: free.
Kunsthalle Friart, Petites-Rames 22, Fribourg.
Bis 28. Juli 2024.
www.friart.ch

Sara Deraedt, free, 2024, Ausstellungsansicht Kunstverein Freiburg, Courtesy the artist, Foto: Marc Doradzillo

Es ist erstaunlich, wie verlassen Orte wirken können, an denen tagsüber das Licht brennt. Vielleicht weil wir denken, hier kümmere sich schon lange niemand mehr um irgendetwas. Als wären die Menschen einfach gegangen und hätten alles stehen und liegen gelassen. Auch im Kunstverein Freiburg brennt momentan ein schwaches Licht, tagein, tagaus. Es ist der fahle, gelborange Schein einer Lichterkette, der vom Giebel einer mit der Front zur Wand gekehrten Weihnachtsmarkthütte reflektiert wird. Gerade hell genug, um dem Tageslicht die Frische zu nehmen und zugleich so gedimmt, dass es am Abend die mit der Dämmerung aufziehende Verlassenheit dieses Ortes noch einmal deutlich verstärkt.

Die belgische Künstlerin Sara Deraedt hat ein feines Gespür für Settings, die mit wenigen Mitteln ein seltsam intensives Unbehagen erzeugen. In einem Kunstraum in ihrer Heimatstadt Brüssel zog sie kürzlich als einzige Intervention lediglich eine Glaswand ein. Der hintere der beiden Räume, die so entstanden, war nur über einen komplizierten Weg durch den Keller des Hauses zu erreichen. Nahmen die Besucher:innen ihn, standen sie dann plötzlich jenseits der Glaswand, den Blicken der anderen ausgeliefert, gefangen wie Tiere im Zoo. Deraedt verwies damit auf Pioniere der Institutionskritik wie den US-Amerikaner Michael Asher, der in den 1970er Jahren mit seinen als Installation getarnten Umbauten von Galerieräumen tief in die Eingeweide des Kunstbetriebs und seiner Abhängigkeiten von Markt und Macht entführte. Zugleich sorgte ihr minimaler Eingriff in Brüssel für eine subtile Atmosphäre des Horrors.

Im Kunstverein Freiburg benötigt Sara Deraedt für eine ähnlich alptraumartige Stimmung nun sechs Weihnachtsmarkthütten, die sie nach ausführlichen Verhandlungen ausnahmsweise von der stadteigenen Tourismus- und Marktinggesellschaft FWTM ausleihen durfte und in der Ausstellungshalle arrangiert hat. Schon die erste dieser mobilen Holzarchitekturen versperrt den gewohnten Weg in den Raum, zeigt abweisend ihre Rückseite, die Läden an der Front sind geschlossen, die Tür ist verriegelt. Reduziert auf die schlichte Grundform eines Hauses mit Satteldach, reihen sich daneben nahezu identisch die anderen Hütten, bilden eine Gasse, umschließen einen Platz. Eine offene Tür zieht den Blick unheilvoll in die dunkle Leere einer der Buden. Folgt man ihm, steht man etwas ratlos in einem kleinen, muffigen Raum, der auf Hüfthöhe von einem Längsbalken geteilt wird, wie zum Anleinen von Pferden in einer Westernkulisse. Überhaupt wirkt hier alles wie ein von allem Leben bereingtes Modell der Wirklichkeit zwischen Abbild und Einbildung.

Die Idee zu diesem Setting sei ihr während der ersten Begehung des Kunstvereins gekommen, sagt Sarah Deraedt. Damals fiel ihr auf, dass eine der beiden Treppen, die auf die umlaufende Galerie der Halle führen, mit Teppichboden belegt war, die andere nicht. Der Grund: Ein Nachbar hatte sich über die Schrittgeräusche der Besuchenden beklagt, was wiederum in einem längeren Austausch über die Abwägung von Gemeinwohlinteressen und privaten Bedürfnissen mündete.

Für Deraedt sind solche Geschichten der Stoff, aus dem sie ihre Installationen entwickelt. Man muss diese Plots nicht kennen, um zu spüren, dass hier etwas nicht stimmt. Kennt man sie, bekommt das vage Unbehagen jedoch plötzlich eine überraschend klare Kontur. Die geschlossenen Fensterläden und die Vereinzelnung der Rücken an Rücken stehenden oder zur Wand gekehrten Hütten lassen sich so durchaus als eine Art Familienaufstellung lesen, ein Verfahren in der Systemischen Therapie zur Erkundung von Beziehungsmustern. Zugleich thematisiert Deraedt mit ihrem introvertierten Dorf die vielfältigen Bedeutungen der Hütte als Ort des Rückzugs, des Aussteigens und der geistigen Einkehr, aber auch als Home of Preppers oder standardisiertes Instant-Shop-Display für saisonale Märkte und Messen.

Dass die Künstlerin zeitgleich im Schweizerischen Fribourg eine zweite Ausstellung mit exakt dem gleichen Saaltext und Titel („free“) zeigt, ohne zu verraten, was dort zu sehen sein wird, gehört zu den poetischen Tricks und doppelten Böden dieser suggestiven Konzeptkunst, die einen mit dem irritierenden Gefühl zurück lässt, ganz nahe dran gewesen zu sein und trotzdem das Wichtigste verpasst zu haben.