Gastlichkeit als Nährboden

Ben El Halawany zum Projekt Spacedumplings in der ifa-Galerie Stuttgart
Thema
27. Juni 2024
Text: Redaktion

Spacedumplings, ifa-Galerie Stuttgart, Charlottenplatz 17, Stuttgart.
1. bis 11. Juli 2024.
Am 2. August 2024 beginnt mit „The Conflictive and Contradictory“ das zweite Kapitel der Reihe „Agua Quemada“.
www.ifa.de

Vier Fragen an die Kuratorinnen und Kuratoren des Projektes Spacedumplings in der ifa-Galerie Stuttgart 

artline: Merv Espina, Bettina Korintenberg, Gabriel Rossell Santillán, Siri Thiermann: Warum gibt es überall auf der Welt Teigtaschen?  
Kann man die Welt anhand von Kohlehydraten erklären?   
ifa-Galerie: Dumplings gibt es überall auf der Welt, da es ein einfaches Wort ist, um eine Vielzahl von Gerichten zu erklären: Solche, die in der Regel, aber nicht ausschließlich, aus Teig bestehen, der eine süße oder herzhafte Füllung umhüllt. Tatsächlich sind jedoch nicht alle diese Gerichte miteinander verwandt. Das ursprüngliche englische Wort stammt vermutlich aus dem Germanischen und bezeichnete kleine Stücke aus gekochtem und gedämpftem Teig. Diese Definition breitete sich dann bald darauf aus, um viele verschiedene Arten von Dumplings weltweit zu bezeichnen. In Eurasien lässt sich die Geschichte der Dumplings auf die dortigen Völkerwanderungen – insbesondere mongolischen und türkischen – zurückführen. Aus diesem Grund ist das türkische mantı im Armenischen, Aserbaidschanischen, Usbekischen, Kasachischen und Kirgisischen fast dasselbe Wort, und auch nicht weit entfernt vom uigurischen manta, afghanischen mantu, mongolischen mantuu, koreanischen mandu oder tibetisch-nepalesischen momo. Anderswo findet man haitianische doumbrey, tigray tihlo, italienische gnocchi, polnische pierogi, ukrainische varenyky, schwäbische Maultaschen, philippinische molo, chinesische jiaozi, japanische gyoza, vietnamesische bánh bột lọc, und die Liste ließe sich noch erweitern. Andere Definitionen würden zusätzlich noch Empanada, Coxinha, Sambusak und Samosa einbeziehen. In einigen der ältesten Kulturen, in denen es das gibt, was wir heute als Dumplings bezeichnen, wie etwa der chinesischen oder breiteren sinitischen oder konfuzianischen kulinarischen Welt, gibt es jedoch keinen einheitlichen Begriff für die vielen unterschiedlichen Gerichte, die man als Dumpling benennt. Das Wort und die Idee des Dumpings sind eine taxonomische Erfindung, deren Verwendung von eben dieser Ungenauigkeit lebt. Jeder Dumplings ist also genau das, was er ist.

artline: Muss eine Institution wie das ifa heute vor allem ein Gastgeber sein? Und wenn ja, was macht einen guten Gastgeber aus?  
ifa-Galerie: Die ifa-Galerien verstehen sich als Orte gelebter künstlerischer Praxis, von Austausch und transnationaler und transkultureller Verbundenheit, was sich mit dem Auftrag des ifa als vermittelnde Institution, die sich für Freiheit in Kunst, Wissenschaft und Zivilgesellschaft einsetzt, in Resonanz steht. Gastlichkeit ist dabei ein zentrales Moment aller unserer Projekte in den Galerien, die meist über einen längeren Zeitraum in Ko-Kreation entstehen. Gastlichkeit bereitet den Nährboden für ein respektvolles, wertschätzendes und offenes Miteinander; es bedeutet willkommen zu heißen, zuzuhören, aufmerksam zu sein für die Bedürfnisse des Gegenübers, in Dialog zu treten und einen guten Rahmen zu schaffen, in dem alle eingeladenen Menschen miteinander in Beziehung treten können. Das gilt für die Projekt selbst, aber auch für die Erfahrungsräumen, die wir gemeinsam schaffen – Ausstellungen, Performances, Lesungen, Vorträge oder auch Kochen. ​​Diese Orte der Verbundenheit sind in Zeiten der Polarisierung und einem Erstarken rechter Kräfte innerhalb unserer Gesellschaft enorm wichtig.  

artline: Hat die Ausstellung als Vermittlungsformat ausgedient?  
ifa-Galerie: Die Ausstellung als Format hat nicht ausgedient:  Es geht darum​​ zu verstehen, was eine Ausstellung alles sein kann. Mit der Erweiterung und Transformation künstlerischer Arbeiten und Praktiken verändern sich auch Ausstellungen in performative, immersive, dynamische und kollektive Orte, die sich ins digitale oder an andere Orte im physischen Raum verlagern, komplementieren und miteinander transformieren. Im Zentrum des Küchenfests steht Kochen als künstlerische Praxis, als Moment des Austauschs, Zusammenkommens und des gemeinsamen Aufbaus von Wissen, das sich auch im Galerieraum mit der Zeit entfalten wird – in einer Art begehbaren, lebendigen Archiv mit Rezepten, damit verbundenen Geschichten, Recherchen.​​​​ 

artline: Spacedumpling ist der Auftakt der Reihe Agua quemada. Was hat es mit diesem Titel auf sich und wie geht es weiter? 
ifa-Galerie: Agua Quemada (Verbranntes Wasser) ist ein Konzept aus der Gedankenwelt von Nahuatl, der die schöpfenden Kräfte des Lebens vereint: Feuer und Wasser. Seine ursprüngliche Bedeutung lässt sich jedoch nicht klar fassen, da diese im Laufe der Jahrhunderte verborgen, verfolgt und verwandelt wurde. Von diesen Leerstellen ausgehend, bringt Agua Quemada Stimmen, Bildwelten, Rhythmen und Zeiten von untergedrückten Wissensformen und -praktiken zusammen und feiert sie als Orte von Weisheit, Widerstand, Regeneration und Gemeinschaft. Über das Format der Einladung und deren Weitergabe versucht dieses kuratorisch-künstlerische Projekt, Räume und Methodologien zu gestalten, die Formen von Kollektivität ermöglichen und gedeihen lassen. Eingeladen sind Diaspora- und lokale Communities, Künstler:innen und Kurator:innen gemeinsam Verknüpfungen unterschiedlicher Zeiten und geografischer Räume, die um den Pazifik zirkulieren, zu regenerieren, zu erträumen, zu zelebrieren und damit Imaginationen in die Zukunft hinein Gestalt zu geben. Spacedumpling macht den Auftakt des einjährigen Programms und öffnet die ifa-Galerie für Communities, Einzelpersonen und Künstler:innen in und um Stuttgart; als zweites Kapitel beginnt am 2.8. die Ausstellung The Conflictive and Contradictory, in der fünf junge internationale Künstler:innen aus kolonial geprägten Kontexten sich damit beschäftigen, welche Konflikte oder auch Brücken entstehen, wenn unterschiedliche Realitäten aufeinandertreffen.