Rewilding: Befreiung des Programms

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Rewilding, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland, mit Arbeiten von Joan Jonas, Thérèse Bolliger, Daniela Keiser, Courtesy the artists und Kunsthaus Baselland, Foto: Gina Folly
Review > Basel > Kunsthaus Baselland
26. Juni 2024
Text: Annette Hoffmann

Rewilding.
Kunsthaus Baselland, Helsinki-Str. 5, Basel-Münchenstein.
Dienstag bis Freitag 11.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 11.00 bis 20.00 Uhr, Samstag und Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 18. August 2024.
www.kunsthausbaselland.ch

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Rewilding, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland, mit Arbeiten von Andrea Bowers, El Anatsui, Naama Tsabar, Courtesy the artists und Kunsthaus Baselland, Foto: Gina Folly
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Rewilding, Ausstellungsansicht Kunsthaus Baselland, mit Arbeiten von Andrea Bowers, Courtesy the artists und Kunsthaus Baselland, Foto: Gina Folly

Nein, eine schweigsame Ausstellung ist dies nicht. Und vielleicht lässt sich die im Titel „Rewilding“ angedeutete Auswilderung – frei nach dem gleichnamigen Buch von Paul Jepson und Cain Blythe – ja auch als Befreiung von allzu eingrenzenden Sprachkonventionen verstehen. Anne-Lise Coste (*1973) etwa sprüht in Neongrün über eine Wand im zweiten Geschoss unverblümt „Monique Wittig te fair jouir“ als eine Hommage an die französische Autorin und Feministin und vier Mal „elles“ über alte Türen und auf deren Glas. Gegenüber stehen auf farbigen Bändern, die Andrea Bowers (*1965) dicht an dicht nebeneinander gehängt hat, Sätze wie „my body is not your business“, „Women don’t owe you a shit“ oder Aufforderungen wie „depart hate“. Dass sich hier Künstlerinnen zu Wort melden, ist kein Zufall. Die meisten Kunstschaffenden, die zu dieser Einweihungsparty des neuen Kunsthaus Baselland auf dem Dreispitz eingeladen wurden, haben auch irgendwann einmal in Muttenz ausgestellt. Hätte man diese letzten elf Jahre, in denen Ines Goldbach das Kunsthaus Baselland geleitet hat, nicht mitverfolgt, man könnte sich über das weibliche Gewicht in der Ausstellung glatt wundern. „Rewilding“ setzt nicht allein nahtlos am bisherigen Programm an, die Schau knüpft auch Fäden zur jüngsten Kunstgeschichte Basels. So hängt Pipilotti Rists „Central Hong Kong Chandelier“, der aus unzähligen weißen Baumwollunterhosen besteht, im Foyer. In den 1980er Jahren studierte Rist (*1962) in Basel bei René Pulfer an der Schule für Gestaltung. Das Institut Kunst befindet sich heute ebenfalls in Münchenstein, in direkter Nähe zum neuen Kunsthaus. Wenn man ein gutes Gespür hat, so hat das Konzept, regionales und internationales Kunstschaffen miteinander zu verbinden, Potential.

Das neue Kunsthaus Baselland, das Buchner Bründler Architekten aus einer alten Lagerhalle herausgeschält haben, wird dem Programm eine noch größere Sichtbarkeit bescheren. Das offene Foyer und der Eingangsbereich jedenfalls sind dazu geschaffen, Kunst zu vermitteln und Menschen zusammenzubringen. Man merkt diesem Haus an, dass Jahre über es nachgedacht wurde. Die drei Türme haben alles, um zu einer Art Landmarke auf dem Dreispitzareal zu werden, im Inneren des Kunsthauses sorgen sie sehr unaufgeregt für Licht. Viele der Arbeiten der 24 Künstlerinnen und Künstler sind für die Dimensionen des Hauses geschaffen worden, sie betonen Diagonalen in der Architektur oder den Rhythmus der Raumfolge. Und selbst wenn sie nicht eigens für „Rewilding“ entstanden sind wie etwa die Installation „Draw with the Wind“ von Joan Jonas (*1936) aus dem Jahr 2018 im Erdgeschoss, so verleihen diese tiefgehängten vietnamesischen Papierdrachen in Form abstrahierter Tiere dem Raum eine derartige Anmut, dass sie für Leichtigkeit sorgen. Und auch El Anatsuis (*1944) Wandarbeit aus verdrahteten Flaschenverschlüssen löst die Solidität der Architektur eher auf als sie zu betonen. Weitere Arbeiten wie der „Altar des Prekären“ von Gerda Steiner (*1967) und Jörg Lenzlinger (*1964) machen sich die Vertikale zu eigen. Zweige lassen diesen Altaraufbau geradezu in die Höhe wachsen, dessen Grundform in einem Regal mit sehr viel Bric-à-Brac besteht. Und die Wandzeichnung von Marine Pagès (*1976) mit ihren gelben, roten und rosafarbenen Streifen nimmt die Trägerbalken der Dachkonstruktion auf. Würde man das Ei auch als Architektur verstehen, dann wäre sein Verhältnis von Hülle und Raum perfekt. Anna Maria Maiolino, die kürzlich auf der Biennale von Venedig mit dem Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wurde, hat dem Hühnerei in ihren Arbeiten oft eine Bühne bereitet. Unter anderem sind in Münchenstein Schwarzweißfotos von einem Boden zu sehen, auf dem zahllose Eier liegen, durch die sich ein Paar Beine zeitlich versetzt seinen Weg bahnt. Die Eier sind so etwas wie eine minimalistische Form der Arte Povera, zugleich stehen sie für die Zerbrechlichkeit von neuem Leben und Glück. Maiolino, die 1942 in Italien geboren wurde und mit ihren Eltern nach Brasilien umsiedelte, erlebte dort die Militärdiktatur der 1960er bis -80er Jahre. Heiterkeit entsteht selten aus sich selbst. Auf dem Dreispitz gibt es viele Gründe, heiter in die Zukunft zu schauen.