Ndayé Kouagou: Sorry, but your beloved mom is not always right!
Westfälischer Kunstverein, Rothenburg 30, Münster.
Mittwoch bis Sonntag 11.00 bis 19.00 Uhr.
Bis 16. September 2024.
www.westfaelischer-kunstverein.de
[artline Nord—] Die Gegensätze zwischen Macht und Verletzlichkeit, aber auch die schwer greifbaren Schwebezustände des Unbehagens und des Zweifelns sind wiederkehrende Themen im medienübergreifenden Werk von Ndayé Kouagou. Selbstverfasste Texte und sprachliche Äußerungen unterschiedlichster Art sind das Ausgangsmaterial des 1992 im französischen Montreuil geborenen Künstlers und Performers, der vom Schreiben her zur Produktion von Bildern und Aktionen kam und in Paris seinen Lebensmittelpunkt hat. Dort präsentierte er seine genreumspannende Kunst bereits in prominenten Häusern wie der Fondation Louis Vuitton und dem Centre Georges Pompidou. Neben der Frieze London und der Athen Biennale nahm er an zahlreichen weiteren internationalen Ausstellungen in Brüssel, Rom, München und anderen Städten teil.
Zu seinen Ausdrucksformen gehören sloganartig auf Plakattafeln in den Raum gestellte Statements, die Poesie, Alltagsphilosophie, Werbeästhetik, Absurdität und Humor mit einem um ungeahnte Ecken herumführenden Ernst verbinden. „WHAT MAKES SOMEONE OPEN OR CLOSE?“, fragt der Künstler in Versalien auf seiner Webseite. Schließlich haben Menschen keinen Deckel oder Flaschenverschluss. Was also lässt sie offen oder geschlossen sein? Und ist das eine denn besser als das andere? Die verbalen Äußerungen des Künstlers sind wie offene Briefe oder öffentliche Selbstgespräche. Sie lassen sich als Anregungen zum Nachdenken über die Bedeutung der Worte heute ebenso lesen wie als gesellschaftskritische Aufforderungen, die Messages, die uns im digitalen Dauer und Overflow der Social-Media-Kanäle ständig umtosen, samt unserer Rolle bei ihrer Navigation, zu hinterfragen. Kouagou schöpft seine unverblümt ins Auge fallenden lyrischen Verdichtungen, die zwischen assoziativem Gedankenstrom, schrägem Songtext, Advertising und minimalistisch präziser Aussage mit kryptischen Untertönen oszillieren, aus losen Feststellungen und persönlichen Beobachtungen, die er über einen längeren Zeitraum per iPhone-App notierte und sammelte. Aus den Textfragmenten entstehen neben Gemälden und Billboards der anderen Art-Live-Performances vor der Kamera, in denen er sich selbst – und so auch das Publikum – in Dialoge zum Stand der Dinge in unserer Zeit verwickelt. In Videoprojektionen verdoppelt er sich zusätzlich mittels Avatar, darauf verweisend, dass unsere Images längt die reale körperliche Präsenz im Raum überholt, wenn nicht gar ersetzt haben. Die in farbstarken Mustern und virtuosen Formgebungen designten Kleidungsstücke, in denen er auftritt, gehören zum textlich-textilen Gesamtkunstwerk, das sich einer genauen Fixierung widersetzt.
„Es liegt leider in der Natur unserer Zeit, dass ein Bild stärker ist als ein Text“, sagt Ndayé Kouagou, „es ist eine Frage der Form.“ Aus diesem Grund präsentiert er seine Texte als Bilder und verwandelt Bilder wiederum in Texte, die er mit Verve auf diese selbst zurückwirft, während er das Persönliche und Kollektive miteinander verquickt. Im Sommer 2024 zeigt der Westfälische Kunstverein in Münster die erste institutionelle Einzelausstellung von Ndayé Kouagou in Deutschland. Kuratiert von Kristina Scepanski, Direktorin des Kunstvereins, gibt die Ausstellung Einblicke in das mehrspurige Schaffen des Künstlers, der sich der Festlegung auf eine Position oder Ausdrucksweise entzieht und sich vom gezielt instabilen Standpunkt des Durcheinanderseins aus mit „Legitimität, Freiheit und Liebe“ befasst: ein endloses Vexierspiel, in deren Verlauf die Begriffe immer wieder aufgemischt und neu besetzt werden.