Carissa Rodriguez: Imitation of Life. Die Ruhe vor dem Erwachen

Carissa Rodriguez, Imitation of Life, 2024, Installationsansicht Kunstverein München, 2024, Courtesy the artist & Kunstverein München, Foto: Maximilian Geuter
Review > München > Kunstverein München
24. Juni 2024
Text: Jürgen Moises

Carissa Rodriguez: Imitation of Life.
Bis 18. August 2024
Constance DeJong: Ausgewählte Drucksachen und Videos.
Bis 30. Juni 2024

Kunstverein München, Galeriestr. 4, München.
Dienstag bis Sonntag 12.00 bis 18.00 Uhr.

www.kunstverein-muenchen.de

Carissa Rodriguez, The Maid, 2018, Installationsansicht Kunstverein München, 2024, Courtesy the artist & Kunstverein München, Foto: Maximilian Geuter
Carissa Rodriguez, The Maid, 2018, Installationsansicht Kunstverein München, 2024, Courtesy the artist & Kunstverein München, Foto: Maximilian Geuter
Carissa Rodriguez, Imitation of Life, 2024, Installationsansicht Kunstverein München, 2024, Courtesy the artist & Kunstverein München, Foto: Maximilian Geuter

Wie ein gewaltiger Monolith steht er da, der gläserne New Yorker Wolkenkratzer, den man zuerst noch im Dunkeln, dann im Dämmerlicht und schließlich im Licht der aufgehenden Sonne sieht. Und man muss kurz an den schwarzen Monolithen in Stanley Kubricks Film „2001“ denken, der dort vor einer Horde wilder Affen erscheint. Was bei Kubrick eine rätselhafte Erscheinung und die Botschaft außerirdischer Lebewesen ist, das ist im Falle von Carissa Rodriguez Alltag. In ihrer Videoarbeit „Imitation of Life“ taucht der gläserne Wolkenkratzer auf. Und er ist auch das, was die in New York lebende Künstlerin täglich vom Kinderzimmer ihres Appartements aus sieht. Gefilmt kann man sich ihm nun fast eine Stunde lang im Kunstverein München widmen, wo aktuell die gleichnamige Ausstellung „Imitation of Life“ von Rodriguez zu sehen ist.

Präsentiert werden die zwei Wolkenkratzer-Videos, die Carissa Rodriguez am 26. Februar und 9. April dieses Jahres mithilfe einer Drohne aufnahm, auf einer großformatigen LED-Wand. Mit „The Maid“ wird im Nebenraum zudem eine ältere Videoarbeit von 2018 gezeigt. Und dann ist da noch eine titellose Installation von 2024 im Treppenraum, die aus einer Holzbank und einer Art Holzregal mit Metallhaken besteht. Da es dazu keinerlei Hinweis gibt, könnte man versucht sein, seine Jacke daran aufzuhängen. Was den „Aufhänger“ mit Kubrick betrifft: der war insofern nicht falsch, als die 1970 in New York geborene Künstlerin mit recht eindringlichen cineastischen Mitteln arbeitet. Dazu gehört neben der fliegenden Kamera eine elegische Musik, die immer mal wieder langsam aufbraust. Auch das Spiel mit Spiegelungen, mit Vorder- und Hintergrund gerät sehr eindrücklich.

Die konkreten filmischen Bezüge sind dann aber andere. Da ist zum einen der Titel, der von einem Melodram von Douglas Sirk stammt, in dem es um die Vereinbarkeit von Mutterpflichten und Karriere geht. Gegen Ende hört man einen Monolog aus Jean-Luc Godards „Alphaville“ von 1965 und zwischen den beiden Videos einen Dialog aus „Alice in den Städten“, dem 50 Jahre alten Film von Wim Wenders. Zwischen diesen akustischen Zitaten wiederum sieht man Rodriguez mit ihrem Kind am Fenster stehen, auf das die Drohne zufliegt. Matreszenz, das Mutterwerden, die Fürsorge oder Care-Arbeit, das alles ist Thema der Videoarbeit. Ein anderes ist die „Reverie“, die Träumerei, die Erfahrung, in Gedanken versunken zu sein. Dafür hat Rodriguez die Videos zwischen 6 und 7 Uhr morgens aufgenommen, der Zeit des Erwachens. Für sie war das im ersten Jahr der Mutterschaft aber auch eine der wenigen Tageszeiten, die sie als Künstlerin für sich hatte. Diese Bezüge sollte man unbedingt kennen, um der somnambulen Stimmung der Videos zu verfallen. Auch die Videoarbeit „The Maid“ ist suggestiv gemacht. Darin verfolgt die Kamera den Weg von sechs Skulpturen der Konzeptkünstlerin Sherrie Levine, die diese der Skulptur „The Newborn“ von Constantin Brâncuși nachempfunden hat. Zu sehen sind sie in Privathäusern und in einem Museumsdepot. Und auch hier geht es unter anderem darum, wie sich fürsorgende Hände um „Neugeborene“ kümmern. Ein bisschen mehr Sorgfalt hätte man sich bei den Infos zu „The Maid“ gewünscht. Diese muss man sich leider selbst zusammensuchen. Was bleibt, sind die eindrücklichen, sprachlosen Filmbilder.

Die Sprache als zentrales Element gibt es dagegen zeitgleich bei den ausgewählten Drucksachen und Videos von Constance DeJong (*1950) in einer Archiv-Ausstellung im Kunstverein zu erleben. Die US-amerikanische Schriftstellerin und Künstlerin, die mit Philip Glass und Tony Oursler zusammengearbeitet hat, macht seit Jahrzehnten Videos, New-Media-Kunst, Bücher und Spoken-Word-Performances. In München sind Aufnahmen von fünf Performances zu sehen. Es gibt Bezüge zu Märchen, eine Arbeit wirkt wie ein Rockmusik-Video, in einer anderen redet DeJong mit einer sprechenden Hand im Fernseher. Die Performances verbinden sehr charmant Poesie mit Humor und Medienkritik. Und sie lohnen ohne Frage einen Abstecher ins Archiv.