André Butzer.
H2 – Zentrum für Gegenwartskunst im Glaspalast, Maximilianstr. 48, Augsburg.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 14. Juli 2024.
www.kunstsammlungen-museen.augsburg.de
Ein Katalog erscheint bei der GfG, Augsburg 2024, 80 S., 25 Euro.
André Butzer: Herr Mändelchen (2002).
Galerie Livie, Claridenstr. 34, Zürich.
Dienstag bis Freitag 11.00 bis 18.00 Uhr, Samstag 12.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 21. August 2024.
liviegallery.com
Man meint die Arbeiten von André Butzer einfach lesen zu können – auf den ersten Blick. Dann sieht man noch einmal hin und es tun sich Abgründe auf. Die Figuren und Liniengespinste des in Berlin lebenden Künstlers entlassen aus dem Schnürboden des Unterbewussten alptraumhafte Assoziationen und Empfindungen. Da ist der „Schandemann“ der sich in Butzers Universum bunter Figuren mit riesigen Augen als düsterer Kinderalptraum tummelt. Und die Figuren, die einem auf den ersten Blick so naiv, fast harmlos erscheinen wollten, verschränken sich mit der Fantasie des Betrachters zu einem „Science Fiction Expressionismus“, wie Butzer seinen eklektizistischen Stil selbst etikettiert. Da klingen nicht nur James Ensor und Edvard Munch an, ganz besonders sind es auch die liebenswerten Walt Disney-Figuren, die Butzer mit seiner ganz eigenen ironischen, manchmal eben auch finsteren Sicht auf die Kunst und die Welt förmlich umkehrt. Zentral ist ein unheilvolles Grinsegesicht, das sich bei wiederholtem Ansehen gar nicht mehr als „Grinsen“ lesen lassen will. Aber auch ganz anderes findet sich unter den Werken, die die Augsburger GfG Gesellschaft für Gegenwartskunst im H2 – Zentrum für Gegenwartskunst zusammengetragen hat. Da sind neben bunten Figuren auch Landschaftsbilder zu finden – wiederholt Flussläufe, die wie technische Aufrisse in Aufruhr wirken – oder ganz abstrakte, scheinbar hingekritzelte Punkt-Strich-Kombinationen. Oder gleich ganz schwarze Flächen. Wie soll man das alles in Zusammenhang bringen? Am besten so: Indem man diese Arbeiten als seismisch-feine Abbilder eines unermüdlichen Künstlerwesens versteht, das feinnervig an der Brutalität der Welt krankt und deren Disparität in zarten Linien fesseln möchte. Etwa „Drahnn“, worin eine am Boden zusammengebrochene Figur von bedrohlichen Gestalten eingekesselt wird.
Dass dieser keinesfalls leicht aufzuschlüsselnden und sicherlich auch oft missverstandenen Kunst nun weltweit große Aufmerksamkeit und Liebe entgegen gebracht wird, war nicht abzusehen. André Butzer fiel nach zwei Semestern an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg bei einer entscheidenden Prüfung durch. Kein Karrierehindernis, kann man sagen, sogar das Gegenteil: heute ist der 1973 in Stuttgart geborene Butzer ein international gefragter Künstler. Seine aggressiv-gestischen Zeichnungen, in denen das Gekritzelte, Skizzenhafte zum Stilmerkmal erhoben ist, docken an die Art Brut und die Outsider Art an, brechen also vollkommen mit konventionellen Vorstellungen von künstlerischer Fertigkeit. Butzer mag einem vorkommen wie ein Jean Dubuffet fürs 21. Jahrhundert, seine zwischen Grafik und Malerei oszillierende Kunst eine neue „Raw Art“, die der Betonung des Unverbildeten, direkt aus der Seele wachsenden Ausdrucks verschrieben ist.
Butzers Figurenreigen ist aber mehr als ein Angriff auf gängige Künstlerausbildung und den professionalisierten Kunstbetrieb – es geht hier um eine Kunst, die Butzer aus dem eigenen Inneren holt und nicht den Kunstkonventionen zum Fraß vorwirft. Und so macht die Ausstellung, je öfter man sie durchwandert, immer mehr Freude, klappen die Bilder auf und setzen eine ganze Kette von Bezügen frei, von den Skizzen der Animationsindustrie über die ungehemmte Ausdrucksstärke von Kinderzeichnungen bis hin zu lyrischeren, fast wehmütigen Miniaturen wie etwa „Gras der Kindheit“.
In Butzers Kunst finden Kämpfe statt, Fläche gegen Linie, Linie gegen Weißraum, Weißraum gegen Worte, die immer wieder in die Grafiken einbrechen und Farbe gegen Nichtfarbe. „Unbetretbare“ Bilder nannte Butzer etwa seine „N-Bilder“, auf denen sich einfache Kastenformen zu Labyrinthen machen. „Utopische Sehbilder“ sind das in den Worten des Künstlers – die vielleicht beste Etikettierung für diese Bilder, in die man nicht zuviel hineinlesen sollte, aber vieles herauslesen kann.
Zeitgleich zur Augsburger Soloschau von André Butzer ist in der Livie Gallery in Zürich die Ausstellung „André Butzer: Herr Mändelchen (2002)“ zu sehen, die sich auf eine der frühesten Figuren in seinem Werk bezieht.